Über allem
Moral und ein Manichäer als Regierungschef
Ein Ende der
jetzigen Machtkonstellation ist noch nicht abzusehen
Von
In Polen dürften Zwillingsbrüder auf absehbare Zeit kein zweites Mal
die Chance bekommen, höchstes Staatsamt und höchstes Regierungsamt in
Familiennutzung zu nehmen. Die erste Erfahrung mit solcher Regierungsvariante
ist vielen ernüchternd genug. Die Stimmungskurve zur Regierungsarbeit ist
schlechter als bei den Vorgängern AWS und SLD jeweils nach Ablauf der gleichen
Zeit am Regierungshebel. Selbst wohlwollende Kritiker räumen mittlerweile ein,
dass Jarosław Kaczyński
an Orientierung verliert. Er nähere sich bereits auffällig den vielen
Amtsvorgängern, die in der Regierungsarbeit ihren vormals so untrüglichen
politischen Instinkt verloren hätten. Und doch ist es wie im Märchen - vorschnelle
Entwarnung wird durch die Fabel bestraft. Denn Jarosław
Kaczyński ist unter Polens Spitzenpolitikern
nach wie vor jener Mann, der das beste Gespür für die Sorgen und Nöte des
vielbeschworenen kleinen Mannes hat. Und das bedeutet in einem Land
gravierender sozialer Probleme viel. In den Händen eines gewieften Taktikers
ist dieser Fakt zudem eine nicht zu unterschätzende Waffe.
Die PiS-geführte
Regierung hat außerdem großes Glück. Obwohl die kleinen Koalitionspartner LPR
und Samoobrona in den Augen der Öffentlichkeit
mächtig Federn ließen und bestenfalls einen Schatten ihrer selbst darstellen,
ist die Opposition keinen Schritt weitergekommen. Die PO beruhigt sich mit der
Aussicht, ohnehin der kommende Wahlsieger zu sein, und kuscht auffallend an der
neuesten PiS-Front, der beabsichtigten Ausmerzung
aller nur möglichen kommunistisch-postkommunistischen Hinterlassenschaften, ein
Vorgang, der bei dem angesagten Husarenstil ja ein jedes liberale Herz - egal
ob der Kopf nun mittig oder rechts denkt - bluten lassen müsste. Und die SLD
ist eher mit sich selbst befasst, stehen der Partei oder besser gesagt ihrer
Mitgliedschaft mit dem angekündigten Ausritt in freiheitlich-liberales Gelände
doch genügend Prüfungen schwerster Art ins Haus. Vorsorglich und gut gemeint
wurde inzwischen die Parlamentsfraktion, in Fraktion der Linken und der
Demokraten (LiD) umgetauft, was freilich sofort den Vorwurf
der Vereinnahmung einbrachte, denn natürlich sitzt dort nach wie vor kein
einziger der "Demokraten" auf den Abgeordnetenbänken. Insgesamt
beruhigen auch hier eher die Aussichten, denn man glaubt den kommenden
Wahlsieger PO bereits in der Zwickmühle: Entweder Fortschreibung des Kaczyński-Programms mit anderen Mitteln oder die von Kaczyński für ausgeschlossen gehaltene Koalition eines
sich breit verstehenden liberalen Lagers, denn der Ministerpräsident sieht
seine rechtsliberalen Kollegen scheuend vor der Hürde, die da Antikommunismus
heißt.
Alle wichtigen politischen
Gruppierungen gehen bereits davon aus, dass eine Rückkehr zu den Vor-Kaczyński-Verhältnissen ausgeschlossen ist; sie
versuchen dem Rechnung zu tragen. Dem PiS-Vorsitzenden wird dabei nicht entgangen sein, dass die
virtuell in Vorhand sitzende PO den ältesten Rock trägt, einen Rock aus grauer Vor-Kaczyński-Zeit, als der Hauptgegner noch Leszek
Miller hieß. Sie scheut sich vor Änderungen und leidet sehr unter dem so
ungleichen Führungspaar. Jan Rokita und Donald Tusk, die noch immer den Eindruck vermitteln als warteten
sie auf ihre großen Chancen, zermürben im Spagat zwischen dem Vorher und dem
Nachher. Im Heute haben sie hingegen einen schweren Stand, dessen darf sich ihr
großer Gegner sicher sein. Und sollte die Vision einer sich rechts und links
von der Mitte befindlichen großen liberalen Verständigung wider alle Erwarten
dennoch Wirklichkeit werden, hätte er einen unschätzbaren Sieg errungen.
Bevor die Umrisse eines künftigen
konservativ-nationalen Blocks feststünden, gäbe es den so wichtigen Gegenpart. Kaczyńskis Gegner hätten dem Traum von den beiden das
politische Leben dominierenden Blöcken neue Hoffnung eingehaucht. Er bräuchte
dann die aufgegangene Saat selbst nur noch einbringen. Nach den Kommunalwahlen
2006 übrigens keine allzu schwere Übung, denn zumindest in den Kleinstädten und
auf dem flachen Lande kann PiS von deutlich
gestärkten Strukturen ausgehen. Sollten sich die politischen Gegner über ein
liberales Programm einigen können, stünde der bereits leicht abgetragene
Wahlschlager des "solidarischen Polen" in neuer, vielen Menschen
einleuchtender Herrlichkeit.
Weniger Erfolg verheißt hingegen
der platte Antikommunismus, mit dem Bruder Lech im Präsidentenamt die ersten
Wochen des Jahres zu punkten versuchte. Vergeblich. Weder Jaruzelskis
Generalsrang noch Ludwik-Waryski-Straßen sind
wirklich von Interesse. Schon gar nicht ist es eine Roosevelt-Straße in Wrocław, die nun deshalb umbenannt werden soll, weil
Roosevelt dem Stalin seinen Segen zu Jalta gegeben hatte. Stielblüten einer
vollkommen verschrobenen Zeit, gewiss, doch das eine oder andere lässt sich an
diesen Kuriositäten ablesen. Die gesellschaftliche Stimmung nämlich, die beide Kaczyńskis ins Amt brachte, flacht zusehends ab. Bereits
bei den Kommunalwahlen wurde mit der Bauernpartei PSL eine Kraft überdurchschnittlich
honoriert, die als Alleinstellungsmerkmal die eigene Normalität (PSL = normal)
herausstellte. Die Lust jedenfalls, den Einfällen und Launen der berühmtesten
Familie Polens zu folgen, ist den meisten Polen abhanden gekommen. Es hat sich
auch an die Weichsel herumgesprochen, welch eigenartig-spöttisches Bild der
politischen Elite im Ausland mittlerweile gezeichnet wird.
Und Jarosław
Kaczyński, der noch wenige Wochen nach
Amtsantritt siegessicher tönte, es gäbe für den Ministerpräsidenten im heutigen
Polen Wichtigeres als die tagtägliche Kleinarbeit am Regierungstisch,
verspricht nun dem Publikum, dann doch noch zu diesem Arbeitsstil überzugehen,
allerdings erst, wenn zwei Dinge ihren Abschluss fänden. Erstens die Institutionalisierung
der eingeleiteten moralischen Revolution und zweitens die überfällige Ablösung
der Kräfte des Runden Tisches von den Schalthebeln der Macht im Lande.
Letzteres zielt auch in Richtung PO, die so vor einem Schulterschluss mit den
Veteranen des Runden Tisches (SLD und Freidemokraten, also LiD)
gewarnt werden soll.
Welche wundervollen Blüten das
zeitigen kann, verdeutlicht ein jüngst in Umlauf gebrachtes Pamphlet aus der
Feder eines rechten Mannes, der nach Alter und Gesinnung jenen zuzurechnen ist,
die womöglich einmal Kaczyńskis politische Erben
genannt werden könnten, zur Zeit sich aber anschicken, die Meinungsführerschaft
im Lande zu übernehmen. Rafał Ziemkiewicz nannte sein Buch "Das Michnikland" (Michnikowczyzna). Adam Michnik, so die zentrale Behauptung,
habe ein großes gesellschaftliches Kapital gehabt und selbiges leichtfertig
verspielt, da er den Geist der "Solidarność"
am Runden Tisch erst aufgegeben bzw. verraten und danach die Postkommunisten
hoffähig gemacht habe. Er ende als der Jerzy Urban der Dritten Republik, also
als der Demagoge einer Ordnung, die verlogen und durch und durch im
Korruptionssumpf gestrandet sei. Für den Aufbruch in einen moralischen
Kapitalismus werde ein solcher Bankrotteur nicht mehr gebraucht. Dahinter steht
die nicht unbegründete Hoffnung, um das im Mai 2006 etablierte konservativ
ausgerichtete Springer-Blatt "Dziennik"
ließe sich ein zweites Meinungszentrum etablieren, so wie es die liberal
ausgerichtete und zu einer polnischen Kapitalgruppe gehörende "Gazeta Wyborcza" seit Jahren
darstellt. Die langjährige praktische Monopolstellung des Michnik-Blattes ist
aufgebrochen, auch wenn das Flaggschiff der polnischen Presse noch immer eine
deutliche Spitzenposition einnimmt. Doch das schreibende Umfeld von "Dziennik" ist deutlich jünger, ist spritziger und
zugleich aggressiver, versteht sein journalistisches Handwerk und kommt
insbesondere bei den 30- bis 40-jährigen recht gut an. Michnik ist für diese
Generation tatsächlich zu einem Symbol "voreiszeitlicher
Vergangenheit" geworden.
Der Ministerpräsident aber hofft,
dass alle diese Konstellationen ihm dabei helfen, ein anderes
Demokratieverständnis zu etablieren. Ob man es dann institutionell als
"Vierte Republik" bezeichnet oder nicht, ist ihm, der diese
Formulierung einst siegessicher in den Umlauf brachte, inzwischen herzlich
egal. Ein anderes System müsse her, ein System, in dem Verantwortung wieder
Verantwortung, Moral wieder Moral und Wahrheit wieder Wahrheit genannt werden
könnten. Recht und Gerechtigkeit eben. Diese Forderung bleibt solange aktuell,
wie glaubhaft gemacht werden kann, dass Staat und Gesellschaft gefährlich
angefressen seien. Die Zentrale Korruptionspolizei, die ohne jegliche
parlamentarische Kontrolle agiert, hat dann vor kurzem auch in die Ärzteschaft
hineingestochen und einen bekannten Herzspezialisten, der viele erfolgreiche
Herztransplantationen auf seinem Konto hat, festsetzen können. Die Skala der
Korruptionsdelikte, die ihm zur Last gelegt werden, wird von Kennern des
polnischen Gesundheitswesens aber eher als eine normal übliche Größe
bezeichnet. Das ist ein Armutszeugnis für den betreffenden Arzt und für das
Gesundheitswesen, klare Sache. Hier interessiert jedoch die Frage, wie lange
die PiS-Strategen solche Quellen, die es in Polen in
Hülle und Fülle gibt, noch zur politischen Goldader ummünzen können?
Polen geht schwierigen Zeiten entgegen. Die Mixtur, die Jarosław Kaczyński seinen Landsleuten als heilendes Mittel anzudrehen versucht, wird ihre Wirkung verfehlen. Genauso wie einst die untauglichen Mixturen der Vorgänger - die Programme Jerzy Buzeks und Leszek Millers.