Polen kämpfen gegen „Zwangsgermanisierung“

 

Von Oliver Hinz

 

Minden/Berlin - Seinen zwölf Jahre alten Sohn hat Miroslaw Kraszewski seit 2004 nicht mehr gesehen. Verantwortlich macht der Duisburger Arzt dafür deutsche Behörden und Gerichte. Sie verboten dem Polen jeden Umgang mit seinem einzigen Kind, das bei Kraszewskis deutscher Exfrau wohnt. Doch mit das Schlimmste für den Vater war: das Amtsgericht und das Jugendamt in Gütersloh verlangten von ihm zuvor, mit dem Sohn bei den wenigen Treffen - unter Aufsicht von Sozialpädagogen - nur noch Deutsch und nicht mehr wie bisher Polnisch zu sprechen. „Die wollen seine polnische Identität auslöschen. Das ist Zwangsgermanisierung“, beschwert sich der 54-jährige Frührentner.

 

In Polen schlagen solche Fälle unter den Schlagwörtern „Polnisch verboten“ hohe Wellen. Schließlich erinnert sie das an die brutale Unterdrückung ihres Landes durch Bismarck und Hitler im 19. und 20. Jahrhundert. Außenministerin Anna Fotyga von der rechtskonservativen PiS warf deutschen Behörden vor, sie betrieben eine „Assimilierungspolitik“. „Wenn solche Verbote angeblich zum Wohl des Kindes ausgesprochen werden, kann sich dahinter leicht eine ganz bestimmte Politik verbergen. Das darf nicht sein“, mahnte sie vor wenigen Wochen. Das Thema besprach Fotyga bereits mit ihrem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Die Außenministerin nahm sich im Februar auch zwei Stunden Zeit für ein Treffen mit Kraszewski und anderen polnischen Müttern und Vätern in ihrem Ministerium. Sie alle fühlen sich als Diskriminierungsopfer deutscher Jugendämter und Familiengerichte. Seit Jahren kämpfen sie um ihre Kinder und das Recht, mit ihnen Polnisch sprechen zu dürfen. Schon im Oktober debattierte das Parlament, der Sejm, auf Antrag der ultrarechten Regierungspartei Liga Polnischer Familien (LPR) ausführlich über die angebliche Regel, dass nach Scheidungen von deutsch-polnischen Ehen nur die deutschen Exehepartner das Sorgerecht für die Kinder bekommen und Polnisch als Umgangssprache mit den anderen Elternteilen verbieten.

Erste Kritik von EU-Kommission an Jugendämtern

Mit dem Vorwurf der Diskriminierung von Polen in Deutschland muss sich auch die EU befassen. Beim Europäischen Parlament gingen dazu bereits über ein Dutzend Petitionen mit Hunderten von Unterstützungsunterschriften ein. Der Repräsentant der EU-Kommission im Petitionsausschuss, Aristotelis Gawriliadis, kritisierte bei der letzten Sitzung in Brüssel die Entscheidungen deutscher Jugendämter. Einige Artikel sowohl des Unionsrechts als auch der Menschenrechtskonvention „werden - wie es schient - nicht eingehalten, zum Beispiel das Verbot einer Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit“, sagte der griechische Jurist der EU-Kommission.

Bundesregierung:

Kein Polnischverbot

Der deutsche EU-Botschafter Wilhelm Schönfelder antwortete schon. Es gebe in Deutschland kein generelles Polnischverbot, wenn Mütter oder Väter ihre Kinder nur in Gegenwart von einem Sozialpädagogen, dem so genannten begleiteten Umgang, treffen dürfen. Allerdings schränkte er ein: Der Behördenvertreter müsse den Dialog zwischen Kind und Mutter oder Vater insbesondere dann verstehen, „wenn zu befürchten ist, dass das Kind verbal unter Druck gesetzt wird“.

Die EU ist die letzte Hoffnung der um ihre Kinder kämpfenden Polen. Vor deutschen Gerichten verloren sie bisher eigentlich immer, manchen von ihnen warfen Gutachter sogar eine „paranoide Persönlichkeitsstörung“ vor. Auch für Kraszewski endete am Freitag erneut ein Prozess schlecht. Das Verwaltungsgericht Minden wies seine Klage auf Polnisch-Unterricht für seinen Sohn ab. Damit setzte sich die Anne-Frank-Schule in Gütersloh durch, die das Fach nicht anbieten will. Schließlich lehne den Polnischunterricht auch die deutsche Mutter ab, bei der das alleinige Sorgerecht für den Schüler liegt, hatte die Schulleiterin gegenüber dem polnischen Fernsehen argumentiert.

Gescheitert ist Kraszewskis Klage allerdings aus rein formalen Gründen, weil er kein Sorgerecht für seinen Sohn hat. Keine Rolle spielte so mehr, dass vor Gericht ein Vertreter des polnischen Generalkonsulats Köln angeboten hatte, einen Polnischlehrer zu stellen und auch zu bezahlen.

Sowohl im Nachbarschaftsvertrag von 1991 als auch im Kulturabkommen von 1997 hatte Deutschland den Schutz und die Förderung der polnischen Sprache zugesagt. Im deutsch-polnischen Kulturabkommen hatten beide Regierungen vereinbart, dass sie sich „nachdrücklich bemühen“, den Unterricht der Sprache des anderen Landes an ihren Schulen und Hochschulen zu fördern (Artikel 4). Das Gericht hatte mangels Sorgerechts des Klägers jedoch nicht darüber zu entscheiden, ob eine Schule verpflichtet sein kann, Polnisch-Unterricht zu erteilen. In Internetforen wurde indes auch gefragt, wie denn wohl in Polen verfahren werde, wenn ein Portugiese für sein Kind Portugiesisch-Unterricht von einer Schule fordern würde.

Hunderttausende Schüler lernen in Polen die deutsche Sprache. Sie liegt nach Englisch auf Platz zwei unter den Fremdsprachen, deutlich vor Russisch und Französisch. In Deutschland wird Polnisch-Unterricht nur von rund 20 Schulen angeboten, vor allem in Brandenburg und Berlin.

SPD: Jugendämtern fehlte Sensibilität

Während der Schulunterricht ein Randthema ist, geht es den polnischen Müttern und Vätern vor allem darum, mit ihren Kindern in ihrer Sprache sprechen zu dürfen. Deutsche Politiker tun sich schwer mit den sehr komplizierten deutsch-polnischen Familientragödien, die längst ein Politikum sind. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Angelica Schwall-Düren, die auch Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Gesellschaft ist, sagte aber: „Mit Sicherheit hat deutschen Jugendämtern in einigen Fällen die notwendige Sensibilität gefehlt. Aber ich verstehe nicht, wie Frau Fotyga aus Einzelfällen eine generelle Assimilierungspolitik ableitet.“

Polnische Botschaft: Kein Massenproblem

Auch die polnische Botschaft in Berlin gibt sich moderat. Polnischverbote seien kein Massenproblem, erklärte Marek Wieruszewski, der für die konsularische Rechtshilfe zuständig ist: „Es sind vereinzelte Fälle, die uns bekannt sind.“ Nach der Intervention seiner Kollegen vom Hamburger Generalkonsulat habe ein dortiges Jugendamt das Polnischverbot schnell wieder aufgehoben. Nun arbeitet das Warschauer Justizministerium am Vorschlag für eine deutsch-polnische Mediatorengruppe für Scheidungskonflikte um Kinder.