Offener Brief des Polnischen Sozialrates e.V.

zum Interview mit der Polnischen Außenministerin, Anna Fotyga in der FAZ vom 2.2.2007

 

Sehr geehrte Frau Minister,

in der Ausgabe 28 vom 2.2.2007 hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung ein Interview mit Ihnen veröffentlicht. Eine Reihe von Fragestellungen, die sie aufgegriffen haben, deuten darauf hin, dass nicht zum ersten Mal die Informationsquellen, die das Polnische Außenministerium nutzt, sehr zufällig ausgewählt wurden. Sie beziehen sich auf unvollständige und interpretierte Informationen, die wenig zu tun haben mit der reellen Situation, und die weit entfernt sind von der Realität. Diese Informationen schaffen ein Bild von der polnischen Minderheit, das für den deutschen Leser nicht verständlich ist. Schon der Begriff der Assimilierungspolitik, den Sie benutzen, kann den deutschen Leser empören, oder im besten Fall verwundern. (…) Einzelfälle, auf die Sie sich berufen, können keinen Beweis für Ihre These sein.

Das wahre Problem für einen Teil der Migranten aus Polen ist der persönliche Druck zur Assimilation, also im Gegensatz zu der von Ihnen benutzten Definition, ein sehr subjektives Gefühl, das keine politischen Absichten oder geplanten Schritte beinhaltet. In der Realität lassen die Lebensbedingungen der polnischen Minderheit in Deutschland (...) viel zu wünschen übrig. Ursache hierfür sind die deutsche Gesetzgebung (das Ausländergesetz) sowie die sog. Integrationspolitik, aber nicht der Vertrag über gutnachbarschaftliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen aus dem Jahr 1991 (unabhängig von seinen Schwächen) oder die Nichteinhaltung der Vereinbarungen durch die deutsche Seite.(…)

In einem demokratischen Staat, (...) haben die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit, ihre Interessen zu vertreten. Diese Möglichkeit wird nur in geringem Umfang von den  Migranten aus Polen wahrgenommen. Die Ursachen hierfür sind komplex. (…) Die Anerkennung der Migranten aus Polen als nationale Minderheit ändert überhaupt nichts an ihrer Situation. Ebenso wenig ändert ein größeres Angebot an Polnisch-Sprachkursen die Anzahl an Lernwilligen.

Der Polnische Sozialrat e.V. berät und verteidigt Migranten aus Polen, unabhängig von ihrem Status, ihrer Konfession und ihrer Staatsbürgerschaft, stellt das Vorgehen von Behörden in Frage und nutzt dabei seine Erfahrungen. Diese Erfahrungen zeigen, dass das Grundproblem im niedrigen gesellschaftlichen Status der Migranten aus Polen liegt. Ursache hierfür ist die hohe Arbeitslosigkeit. Diese ist u. a. ein Ergebnis der Nichterteilung der Arbeitserlaubnis, der Beschäftigung unterhalb ihrer Qualifikationen, da polnische Zeugnisse und Diplome nicht anerkannt wurden, des Mangels an speziellen Beratungsstellen und Informationspunkten, an Integrationsprogrammen, die die Bedürfnisse polnischer Migranten berücksichtigen. (...)

Seit der Möglichkeit des Kontaktes mit den Vertretern der polnischen Exekutive wie Sejm und Senat haben wir uns bemüht, auch ihnen unsere Sichtweise und Beurteilung der Situation darzustellen. Leider haben sowohl die polnische Regierung als auch die Vertreter der "Wspó³nota Polska" (Polnische Organisation für Auslandspolen) die realen Probleme nicht registriert und in Anlehnung an ein sehr traditionelles Bild der "Diaspora" auf die Pflege des "Polentums" gesetzt. Dabei werden Organisationen von Auslandspolen unterstützt, deren Einflussmöglichkeiten auf ihr Umfeld sehr begrenzt sind und von diesem Umfeld nicht wahrgenommen werden. (…) Es entsteht der Eindruck, dass Ihre Aussagen sich ausschließlich auf Informationen und Einschätzungen der o.g. Gruppe beziehen.

1992 haben wir eine Konferenz mit dem Thema: "Polen in Deutschland - Gäste oder Minderheit" organisiert. (...) Damit wollten wir auf die Definition von Minderheiten aufmerksam machen, die nicht der bundesrepublikanischen Realität entspricht, und die auch andere ethnische Gruppen umfassen sollte, die de facto bedeutend zahlreicher sind als die polnische Minderheit.

(...) In der öffentlichen Diskussion erschien  [danach - d. Red.] ein bisher vernachlässigtes Thema, nämlich die Anwesenheit einer sehr großen Gruppe polnischer Migranten in Deutschland sowie ein Paradigmenwechsel betreffs der Migration und der Migranten überhaupt.

Unser im Jahr 1982 von polnischen Migranten gegründete Verein zur Unterstützung von Migranten aus Polen, mit dem Ziel der Erteilung von individueller Hilfe und Verteidigung der Interessen der Migranten, hat über 10 Jahre keine feste Förderung zur Unterstützung seiner Tätigkeit erhalten. (...) Die Professionalisierung unseres Tagesgeschäfts, die gemachten Erfahrungen und Ergebnisse haben es uns aber ermöglicht, wirksam Fördermittel für unsere Projekte zu beantragen. Die Summe der Fördermittel für unsere zahlreichen Projekte beträgt in den letzten 10 Jahren mehr als 2 500 000 Euro. Diese Summe ist zwar nicht adäquat zu unseren Bedürfnissen (...), aber die Informationen darüber, dass der deutsche Staat keine Mittel für die Entwicklung polnischer Migranten zur Verfügung stellt, sind mit Vorsicht zu genießen.

(…) Gleichzeitig haben wir erfahren, dass das Interesse am Polnisch-Unterricht geringer ist, als das Angebot der Berliner Schulen. Diese Fakten, verbunden mit den o. g. genannten politischen Forderungen, die im Gegensatz zur Realität stehen, bewirken nur den Verlust an Glaubwürdigkeit, leider dann auch gegenüber vollständig begründeten Vorwürfen.

Ihr Interview in der FAZ verbessert nicht die Situation der Migranten aus Polen, sondern bewirkt das Gegenteil. Es verschlechtert das Klima des Zusammenlebens und kann die Verschlechterung des allgemeinen Bildes der Einwanderer aus Polen stärken. Diese kommen aufgrund der Familienzusammenführung bzw. ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit weiterhin in großer Anzahl nach Deutschland. Wenn die Vertreter der polnischen Regierung und alle anderen politischen Kräfte die Verbesserung der Situation der polnischen Migranten anstreben, sollten sie ihre Anstrengungen auf die Unterstützung der Emanzipation sowie Integration konzentrieren und alle Anstrengungen vermeiden, die zu einer "Ghettoisierung" führen, verbunden mit überzogenen Erwartungshaltungen und einem unbegründet übertriebenen Selbstwertgefühl.

Unabhängig davon sollten wir selbst lernen, unsere Interessen innerhalb der partnerschaftlichen Beziehungen mit den hiesigen Institutionen und politischen Kräften zu artikulieren und zu verteidigen. Solange die sog. Auslandspolen (Polonia) und ihre selbsternannten Führer diese Notwendigkeit nicht verstehen, werden alle Anstrengungen von Seiten der polnischen Regierung in Deutschland nur als Versuche zur Instrumentalisierung der Minderheit mit dem Ziel der Realisierung anderer politischer Ziele registriert. Aus unterschiedlichen Gründen - auch historischen - sind wir unzufrieden mit der uns zugeschriebenen Rolle als Objekt und Gegenstand in politischen Auseinandersetzungen.

 

Witold Kaminski

Vizevorsitzender des Polnischen Sozialrates e.V.

(Kürzungen durch die Redaktion)