Polen nach den Regional- und Kommunalwahlen

Festschreibung unsicherer Verhältnisse

Holger Politt

 

Das wichtigste Ergebnis der Regional- und Kommunalwahlen im November 2006 sei hier vorweggenommen: Nach Ansicht der meisten Beobachter spreche nunmehr wenig für vorgezogene parlamentarische Neuwahlen. PiS (Recht und Gerechtigkeit) wird also in den kommenden drei Jahren eine erste Geige spielen, auch wenn das Schicksal der jetzigen Regierungskoalition mit Samoobrona (Selbstverteidigung) und LPR (Liga der Polnischen Familien) ungewisser denn je sein dürfte. Ministerpräsident Jarosław Kaczyński darf sich so einerseits freuen, denn ihm zur Seite stehen zwei politisch sichtlich geschwächte Parteivorsitzende, die in den kommenden Monaten nicht mehr die Kraft aufbringen werden, ihm das Leben zu erschweren.

 

Der Präsidentenbruder wird an der Frage nicht vorbeikommen, wie lange er sich die schwierige Doppelfunktion - Parteivorsitz und Regierungschef - noch zutrauen solle.

Zu Sommeranfang trieb der nicht schnell genug erfolgende Aufbau der IV. Republik den das Rampenlicht der Medien scheuenden Parteistrategen in ein Amt, dessen Pflichten er wenig liebt, von dessen Macht er unter den gegebenen verfassungsmäßigen Bedingungen nicht restlos überzeugt ist und dessen beachtliche Höhe er nur schwerlich für den Glanz der eigenen Person zu nutzen versteht. Das Amt des starken, unbestrittenen Parteichefs passt besser zu ihm, so wird er also zu entscheiden haben, ob die Situation im Lande es erforderlich macht, sich auf das für ihn wichtige - das Heraufkommen einer neuen Republik - zu konzentrieren. Für ein routinemäßiges Regieren bis zum nächsten Wahltermin, das hat er zu verstehen gegeben, werde er nicht zur Verfügung stehen. Die Konsequenzen liegen auf der Hand. Entweder kümmert er sich künftig stärker um den Aufbau einer breiteren konservativ-nationalen Formation, die den Kampf um die angesagte neue Republik weiter- und vorantreiben könnte, oder aber er müsste als Ministerpräsident schnellstens die überflüssig gewordenen Grabenkämpfe mit den Rechtsliberalen einstellen, um sie letztlich doch noch ins Regierungsboot zu holen. Beide Aufgaben dürften schwer genug sein.

Die konservativ-nationale Seite

Der größte Verlierer der Regional- und Lokalwahlen ist die jetzige Regierungskoalition als Ganzes gerechnet. Eine gute Vergleichsbasis bieten dabei die zusammengerechneten Wahlergebnisse zu den 16 Wojewodschaftskörperschaften, die bei allen notwendigen Abstrichen in etwa mit den Parlamentswahlen 2005 verglichen werden können. Bei leicht gestiegener Wahlbeteiligung (im Schnitt 46%) verloren die Parteien der Regierungskoalition gegenüber dem Vorjahr 910.000 Wählerstimmen. Diese Verluste gingen aber vollständig auf die Kappe der rechtsnationalen LPR (320.000) und der bauernpolitisch ausgerichteten Samoobrona (650.000). Die PiS-Zuwächse (60.000) konnten diese Verluste nur noch geringfügig ausgleichen. Während die Samoobrona die meisten Stimmen an die bauernpolitische Konkurrenz von der PSL (Bauernpartei) verlor (dort Zuwachs von 650.000 Stimmen), signalisieren die LPR-Verluste vor allem eine allmähliche Aufweichung der Partei. Die Verluste der Koalitionspartner LPR und Samoobrona haben zunächst einmal die Stellung der PiS in der Regierungskoalition deutlich gestärkt. Über die Zukunft des mit den konservativ-nationalen Wählerschichten verbundenen politischen Lagers wird einstweilen nur noch in der PiS-Zentrale entschieden. Das betrifft vornehmlich die LPR, weniger Samoobrona, die sich selbst nicht als vordergründig konservativ-nationale Kraft versteht.

PiS selbst hat drei Ziele erreicht, eines nicht. Die Partei hat die Dominanz in der bestehenden Regierung eindeutig vergrößert, sie hat ihre Positionen in den Großstädten (meistens 20-30% der Wählerstimmen) gehalten, sie hat drittens deutlich zugelegt im Terrain, dort also, wo über den Aufbau arbeitsfähiger landesweiter Parteistrukturen entschieden wird. Aber sie hat unter den Parteien erstmals die Führungsposition abgeben müssen. Lag man im Hebst 2005 bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen noch jeweils knapp vorne, ist man jetzt nach Wählerstimmen gerechnet nur noch der zweite Sieger: PO (Bürgerplattform) 27,2%, PiS 25,1%. Die Niederlage von PiS-Kandidat Marcinkiewicz (bis Sommer 2006 Ministerpräsident) gegen die Kandidatin der PO bei der Oberbürgermeisterwahl in der Hauptstadt symbolisiert diese Umkehrung recht gut.

Alleinbestimmende Kraft in diesem Lager ist die PO, die nach einem deutlichen Zuwachs an Wählerzuspruch zur stärksten politischen Kraft aufgestiegen ist (fast 700.000 Wählerstimmen mehr als 2005). Sie ist nunmehr dominierend in den Großstädten und unter den Erst- und Jungwählern. In Warschau beispielsweise kommt die Partei in diesem Bereich auf über 60%. Sie hat es in den zurückliegenden Monaten ganz gut verstanden, sich als die alternative Kraft zur Regierungskoalition (und erst in zweiter Linie zu PiS) in Szene zu setzen.

Das rechtsliberale Lager

Allerdings reichen die in den Großstädten erreichten Zuwächse auch weiterhin nicht, um aus eigener Kraft die bestehende Koalition zu gefährden. PO ist bei allen Spekulationen über eine künftige Regierungsbeteiligung entweder auf PiS oder einen anderen Partner angewiesen, der nach der Lage der Dinge nur der neugebildete linksliberale Zusammenschluss sein könnte.

Trotz des Stimmenzuwachses sehen sich die PO-Verantwortlichen somit vor eine nicht einfache Wahl gestellt. Drei Möglichkeiten bestehen: In der jetzigen Position, der ungeliebten Oppositionsrolle zu verbleiben und darauf zu hoffen, dass sich der wichtigste Konkurrent (PiS) in der Regierungsarbeit mit den deutlich geschwächten Koalitionspartnern verschleißt, also deutlich an Zustimmung verlieren wird. Oder aber die Schwächung der Koalition als eine Möglichkeit sehen, mit PiS gemeinsam doch noch die Regierungsverantwortung zu übernehmen, etwa wenn der Premier durch seinen Rücktritt den Weg freimachte. Als letzte Möglichkeit besteht die Variante, den pragmatischen Schulterschluss mit jenen politischen Kräften zu suchen, die bisher wegen des eigenen demonstrativen Antikommunismus überhaupt nicht auf dem Plan waren.

Im letzten Falle würde die Partei also deutlich abrücken von den Positionen der erfahrenen Strategen um Jan M. Rokita und stärker einer politisch ambivalenten Anti-Kaczyński-Stimmung nachgeben, der die PO in den Großstädten und vor allem unter den jüngeren Wählerschichten ihre enormen Zugewinne verdankt. Nicht zu übersehende Irritationen innerhalb des engeren PO-Führungszirkels nach den Wahlen zeigen an, dass die Entscheidung keine einfache sein wird.

Als dritte politische Kraft (und damit zunehmend als ernsthaftes Angebot für ein Anti-PiS-Bündnis mit der PO zusammen) möchte sich das Bündnis LiD (Linke und Demokraten) sehen, also das Wahlbündnis aus SLD (Demokratische Linksallianz), SdPl (Polnische Sozialdemokratie), den Freidemokraten der PD (Demokratische Partei) und weiteren kleineren linksgerichteten Gruppierungen. Die erreichten Wahlergebnisse, wiewohl in einzelnen Regionen unterschiedlich, werden insbesondere bei der SLD Kopfzerbrechen hervorrufen.

Das linksgerichtete und linksliberale Lager

Nur in wenigen Fällen ist gegenüber 2005 ein wirklicher Durchbruch, also ein spürbarer Zuwachs an Wählerstimmen erreicht worden. Insgesamt ist man doch recht deutlich unter den eigenen Erwartungen geblieben. 350.000 Wählerstimmen gingen verloren. Bei den Wojewodschaftsvertretungen erreichte man im Schnitt 14,2%, fast vier Prozentpunkte weniger als die zusammengerechneten Einzelergebnisse von 2005.

Das Wahlbündnis LiD befindet sich am Scheideweg: Ein Zurück zu den noch immer bestehenden Parteistrukturen kann es wohl nicht mehr geben, womit also der Aufbruch in einen neuen politischen Zusammenhang auf der Agenda steht. Favorisiertes Modell: Ein fester Mitte-Links-Block (also mehr als LiD im Augenblick) mit entschieden marktwirtschaftlichem Einschlag, mit freiheitlicher Ausrichtung (bei allerdings strikter Achtung traditioneller Eigenarten Polens), pro-europäisch und pro-atlantisch, unbelastet von unnötigen sozialen Versprechungen. Ein solcher Block wäre in erster Linie eine liberale Herausforderung für die PO in den Großstädten - attraktiv vor allem für junge, sich gesund fühlende, die Zukunft suchende und in sozialer Hinsicht sich noch relativ frei fühlende Wählerschichten. Attraktiv also für jene, die derzeit in deutlicher Mehrheit ihre Stimmen den Rechtsliberalen geben.

Die sozial ausgerichteten Kräfte im Bündnis LiD befinden sich dagegen in der Defensive. Viel könnte künftig vom Agieren der Gewerkschaftszentrale OPZZ abhängen, die sich für das Bündnis ausgesprochen hat. Die Tatsache, dass LiD bei Arbeitern oder Arbeitslosen deutlich unter dem Schnitt lag, wird aber bereits als Warnzeichen verstanden. Mangels Alternativen im außerparlamentarischen Raum bleibt vielen Gruppierungen und Parteien, die eine konsequente soziale Ausrichtung als die bessere Antwort auf die leere soziale Rhetorik der PiS-Strategen verstehen, einstweilen nur, sich innerhalb eines programmatisch möglichst breit gefassten Bündnisses zu profilieren und an Gewicht zu gewinnen. Wenn man so will - ein italienischer Weg.