Symbolische Politik

Von David Warszawski

 

In den zurückliegenden Jahren kümmerte sich in Polen zumeist die rechte Seite um derart Nebensächliches. Mit Erfolg, wie mittlerweile zu vermelden ist, so wie im Falle Lech Kaczyńskis, der sich bereits als Warschaus Stadtoberhaupt kräftig Sporen verdiente. Die feierliche Einweihung eines Museums des Warschauer Aufstands im Sommer 2004 war ein Erfolg mit Ansage, erhob er Vollendung und Einrichtung dieses Baus bei Amtsantritt Ende 2002 doch zur absoluten Ehrensache seines Engagements in der Hauptstadt. Nachdem er Präsident gar des ganzen Landes geworden war, genügten wenige Pinselstriche, um das Gedenken an den blutigsten städtischen Aufstand im durch Hitlerdeutschland okkupierten Europa noch mehr auf gewünschte Linie zu trimmen: Die Niederlage der Aufständischen, die sich in der Zahl von mehr als 200.000 Todesopfern auf Warschauer Seite tragisch manifestierte, habe zugleich den nahezu reibungslosen Übergang von der braunen zur roten Diktatur besiegelt, unter der Ostmitteleuropa nach Kriegsende über vier Jahrzehnte lang gelitten habe.

 

Nach Jalta haben sich Warschaus Untergrundkämpfer und die Bewohner der Stadt für die Rettung Europas im August 1944 einer Aufgabe gestellt, deren Erfüllung auch wegen der ausbleibenden, so sehnsüchtig erwarteten Hilfeleistung durch die westlichen Alliierten zum tragischen Untergang fast der gesamten Stadt geführt habe. Es ist mit dem Museum beinahe so, als habe es die vielen gelungenen Versuche einer schonungslos-kritischen Würdigung des Warschauer Aufstands in der Emigration und in Volkspolen gar nicht gegeben.

Nunmehr hat aber auch Roman Dmowski sein Monument - sinnfälliger Weise auf der Warschauer Adresse "Am Scheideweg". Mit Hut ziemliche fünf Meter ragt der dargestellte schüchtern-nachdenkliche Herr, beiläufig die Zeitung haltend, in die Höhe. Als Dmowski sich anschickte, den sich in die Tradition der Nationalaufstände des 19. Jahrhunderts stellenden Józef Piłsudski herauszufordern, geißelte er den Hang zur Romantik als die größte Schwäche im politischen Handwerk der Polen. Insofern wäre das Denkmal schon fast wieder ein Kontrapunkt zum Kaczyński-Museum, soll doch dort unterschwellig die Wiederauferstehung des im Herbst 1944 scheinbar untergegangenen Geistes von Warschau in der ersten "Solidarność-Bewegung von 1980/81 gefeiert werden. Dass diese Bewegung dann in der Lesart heutiger regierungsseitiger historischer Politik erst wieder ab Herbst 2005 zu ihrem vollen moralischen Recht kommen solle, steht auf einem anderen Blatt.

Nicht, dass die Einweihung des Dmowski-Denkmals den PiS-Gewaltigen großes Kopfzerbrechen bereitete, aber für die sich in der Pilsudski-Linie sehenden Zwillingsbrüder ist es eher ein nicht ganz so einfaches Ereignis symbolischer Politik. Man geht auf gefällige Distanz und weiß den kleinen Koalitionspartner, die Mannen der Liga der Polnischen Familien (LPR), um so inniger am Denkmal kleben. Für den LPR-Chef und Bildungsminister Roman Giertych ist Dmowski allerdings die politische Vaterfigur. Wer im Spätherbst 2004 auf dem Maydan zu Kiew vom rechten Personal polnischer Politik nicht mit orangenfarbigem Schal gesichtet wurde, gehört wie Giertych zur Schar der Dmowski-Jünger.

Während Piłsudski nach 1918 die Zukunft des wieder erstandenen Polen eng gekoppelt sah an eine nicht zu Russland gehörende Ukraine, ließ sich Dmowski von der gegenteiligen Annahme leiten. Alles Engagement im Osten führe unweigerlich zu einer Schwächung des Nationalstaats, den die Polen bräuchten, denn die große Herausforderung werde nicht der Vielvölkerstaat Russland, sondern der Nationalstaat Deutschland sein. Nationale und ethnische Minderheiten würden die innere Festigkeit des neuen Polen zusätzlich belasten, weshalb vor allem nach Osten hin eine sinnvolle Begrenzung eigener Ansprüche zu erfolgen habe. Die Konsequenz dieses nationalistischen Ansatzes führte Dmowski auf offen antisemitische Positionen, denn dem jüdischen Bevölkerungsteil, der in vielen Kleinstädten die Hälfte und etwa in Warschau und Łódź um die 30% der Gesamtbevölkerung ausmachte, empfahl er perspektivisch eine "zionistische" Lösung, Auswanderung wahlweise nach Nahost oder Madagaskar. Roman Giertych, einmal befragt, ob Dmowski mit solchen Positionen denn heuer Mitglied der LPR hätte werden können, antwortete gewieft: Natürlich nicht! Doch wer sage denn, dass Dmowski nach den uns zuteil gewordenen Erfahrungen der Geschichte seine anrüchigen Positionen nicht selbst korrigiert hätte? Also wäre er wohl doch Mitglied.

Andrzej Walicki, bester Dmowski-Kenner und Liberaler ohne Fehl und Tadel, plädiert bereits seit langem für einen möglichst sachlichen und unaufgeregten Umgang mit Dmowski. Einen Faschisten oder Nationalsozialisten nennt er ihn wohlweislich nicht. Doch einsichtige Gründe gegen eine in Stein gehauene öffentliche Ehrung gebe es zur Genüge. Er spricht sich gegen eine Tabuisierung aus, verwehrt sich aber strikt jeder falschen oder instrumentalisierten Beweihräucherung. Da nun das Tor aufgestoßen ist, bleibt, auf die List der Vernunft zu setzen.