15 Jahre
Deutsch-Polnisches Jugendwerk (DPJW)
Ein ganz
persönlicher Rückblick
Von Piotr Łysakowski
Um die Entstehungsgeschichte des Jugendwerks - unter dieser Bezeichnung
ist es komischerweise auch bei den polnischen Antragstellern in aller Munde,
obwohl es eigentlich Polsko-Niemiecka Współpraca Młodzieży
- PNWM - heißt - besser einordnen zu können, muss an dieser Stelle auch die
Vorgeschichte der deutsch-polnischen Jugendbegegnungen beleuchtet werden. Bei
den ersten Begegnungen von Jugendlichen handelte es sich in erster Linie um die
je nach politischer Auffassung unterschiedlich zu bewertenden Fahrten organisierter
Jugendgruppen zu Arbeitsaufenthalten in der DDR.
Während dieser
gesteuerter Zusammentreffen manifestierten sich eher unter jungen
Ostdeutschen und Polen die im Alltag herumgeisternden Stereotypen und Vorurteile
übereinander. Hingegen gingen die Fahrten mit ihrem eher informellen Charakter
in die damalige Bundesrepublik Deutschland in eine ganz andere Welt - diese
wurden höchst unterschiedlich organisiert, waren sie doch fast immer nicht
konform mit der vorherrschenden ideologischen Auslegung. Es gab Hunderte von Methoden,
die offiziell geltenden Verbote ganz inoffiziell zu umgehen.
Je näher man dem Jahr 1989 kam,
desto schwieriger wurde es, die Fiktion der "sozialistischen
Freundschaft" aufrecht zu erhalten. Der Überführung in eine relative
Normalität der Beziehungen diente die bereits im November 1989 zwischen der VR
Polen und der Bundesrepublik auf den Weg gebrachte Verständigung über den
gemeinsamen Jugendaustausch. Noch war es ein weiter Weg bis zur Entstehung des
DPJW, doch der erste Schritt war damit getan. Nach den Treffen des Premierministers
Mazowiecki mit Kanzler Kohl im November 1989 und 1990 in Krzyżowa
(Kreisau) wurde mit den Arbeiten zur Vorbereitung der
rechtlichen Grundlagen für die Einrichtung eines Jugendwerks begonnen. Als
Vorbild (dessen Rechtsvorlagen jedoch nicht einfach treu kopiert wurden) sollte
hierbei das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW - besteht seit 1963) dienen.
Auf polnischer Seite wurde das Büro des Regierungsbevollmächtigten für
Jugendfragen im Ministerratsamt (heute die Staatskanzlei des Vorsitzenden des
Ministerrats) zum Zentrum dieser Vorbereitungsarbeiten gemacht. Auf deutscher
Seite war hingegen von Anfang an das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (BMFSFJ) zuständig. Etwas später wurde in Polen die
Entscheidungsbefugnis im Hinblick auf das DPJW dem Ministerium für Nationale
Bildung (MEN) übertragen. Aus voller Überzeugung stelle ich an dieser Stelle
fest, dass diese Entscheidung falsch war, denn bis heute sind deren schlimme
Folgen ersichtlich. Die politische Zwangsläufigkeit auf deutscher Seite, die
intensive und unter Zeitdruck verlaufende Arbeit, auf polnischer Seite der
Mangel an Erfahrung und an Fachleuten - die sich der Tragweite der gesamten
Problematik hätten bewusst sein müssen - all dies führte auf beiden Seiten
dazu, dass in rechtlicher Hinsicht vielfältige Fehler und Unzulänglichkeiten
festgeschrieben wurden, deren Auswirkungen bis vor kurzem erkennbar waren.
Diese Vorbereitungen führten am
17.06.1991 in Bonn zur Unterzeichnung des "Abkommens zwischen der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen
über das Deutsch-Polnische Jugendwerk". Unter diesem Dokument findet sich
unter anderen auch die Unterschrift der heutigen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Damals kristallisierte sich auch die bis heute funktionierende
Organisationsstruktur heraus: zwei Büros mit unterschiedlichen Zuständigkeiten
- Warschau für den Schüleraustausch und Potsdam für den allgemeinen
Jugendaustausch. In beiden Büros arbeiten Deutsche und Polen zusammen. Die Institution
wird von beiden Regierungen über jährlich zugewiesene Beiträge finanziert:
Gemäß den diesbezüglichen Ausführungen des Abkommens sollten diese für das
Jugendwerk von beiden Ländern zur Verfügung gestellten Beiträge jedes Jahr
gleich hoch sein. Wir alle wissen, dass man sich - nachdem viele Jahre lang
diesbezüglich keine Ausgeglichenheit bestand - eben diesem Prinzip des
Abkommens 2006 angenähert hatte: mit etwa 4,1 Mio.€ von polnischer und 4,2 Mio.€
von deutscher Seite. In Anbetracht der unterschiedlichen Lebensbedingungen in
beiden Ländern wird deutlich, dass dies seitens der polnischen Regierung
erhebliche Anstrengungen erfordert. Gerechterweise sollte man an dieser Stelle
ebenso anerkennen, dass unsere westlichen Nachbarn in den Anfangsjahren im
Vergleich zu Polen beinahe doppelt so hohe Beiträge in die gemeinsame Kasse des
Jugendwerks einzahlten. Die polnische Regierung hingegen stellte stets
unverhältnismäßig viele Mittel für den Austausch mit Deutschland zur Verfügung
- dies ist überhaupt nicht zu vergleichen mit der Austauschförderung Polens in
Bezug auf andere Länder.
Das DPJW fördert prinzipiell den
Aufenthalt und die Fahrt polnischer Gruppen in bzw. nach Deutschland sowie den
Aufenthalt deutscher Gruppen in Polen. Auch Fachprogramme, der Sportaustausch
und trilaterale Maßnahmen in beiden Ländern werden bezuschusst. Seit seinen
Anfängen im Jahr 1992, als 187 schulische Begegnungen mit 5.327 polnischen
Jugendlichen registriert waren, wächst die jährliche Erfolgsbilanz des DPJW: Im
Jahr 2002 waren es insgesamt 3.341 Maßnahmen, davon 1.685 in Deutschland, 1.656
in Polen. Es gab 1.539 Schülerbegegnungen und 1.802 Begegnungen
außerschulischer Natur. Daran nahmen 131.056 junge Deutsche (66.350) und Polen
(64.706) teil. Allein in diesem Jahr (das statistisch gesehen noch nicht
endgültig in seinen Zahlen feststeht) gab es etwa 3.900 Begegnungen (davon
entfielen auf den Schüleraustausch 1.843 und auf den allgemeinen und
Sportaustausch insgesamt 2.057 Maßnahmen). Daran nahmen ca. 153.000 junge
Menschen aus beiden Ländern teil.
Selbstverständlich hätte das DPJW
angesichts seiner von jeher unzureichenden Personalausstattung all diese
Erfolgsbilanzen nicht allein bewerkstelligen können. Die Grundlage für diesen
Erfolg geht auf die ungemeinen und häufig leider nicht honorierten
Anstrengungen einzelner Mitarbeiter des DPJW in dessen Anfangsjahren zurück.
Später kam die Kooperation mit verschiedenen Institutionen hinzu, welche auf
beiden Seiten der Oder mit ihrem Engagement das Wirken des DPJW förderten und
verstärkten.
Sie alle zu nennen würde den
Rahmen dieses Textes sprengen, daher verzichte ich darauf. Interessierte Leser
verweise ich auf die Jahresberichte der DPJW-Geschäftsführung
(im Internet veröffentlicht als Anlagen zu den Sitzungsunterlagen des
Deutsch-Polnischen Jugendrats - DPJR) oder auf meinen Beitrag zum 10jährigen
Bestehen des DPJW (in: Deutsch-Polnisches Jahrbuch, Band 11, 2003).
Bereits angesprochen wurde die
nicht ausreichende personelle Besetzung dieser Institution - genau hier ist
einer ihrer grundlegenden wunden Punkte auszumachen.
In vielen Fällen bedeuteten
Versuche, das Wirken des DPJW zu politisieren, eine handfeste Bedrohung für
dessen reibungsloses Funktionieren. Leider wurden derartige Versuche häufiger
von polnischer als von deutscher Seite aus unternommen. Die zuletzt bekannt
gewordenen und plumpen Bestrebungen des MEN, personelle Veränderungen im DPJW
vorzunehmen, stellen hier keine Ausnahme dar (wie von der polnischen und
deutschen Presse dargestellt).
Genau dies erfolgte bereits im
Jahr 1996: Ausgerechnet, als das Fortbestehen des DPJW real gefährdet war (und
trotz der dramatischen Appelle um beherztes Eingreifen - vgl.
Deutsch-Polnisches Jahrbuch, Band 11, 2003.), interessierte sich niemand
wirklich für die Geschehnisse. Damals gab es in Polen eine linke Regierung, die
außer Erklärungen de facto keinerlei Beitrag zur Entwicklung des DPJW leistete.
Im Hinblick auf "unsere
Unzulänglichkeiten" ist in polnischen zentralen Institutionen zweifelsfrei
ein erheblicher Mangel an solchen Personen festzustellen, die etwas vom
internationalen Jugendaustausch verstehen. Und die Beamten - ganz konkrete
Personen, die eben für diesen Bereich zuständig sind - richten sich politisch
gesehen nach den Weisungen der jeweiligen zeitübergreifenden Machthaber und
sind darin unbelehrbar: Das Jugendwerk und sein Auftrag spielen für sie ganz
einfach gar keine Rolle. Wiederum lässt es der Rahmen dieses Textes nicht zu,
meine "Abenteuer" mit solchen Beamten zu schildern.
Deutsche Unzulänglichkeiten
gegenüber dem DPJW wurden im Verlauf der letzten Regierungsjahre unter der
Führung der SPD sichtbar: Deutlich mangelte es an jenem institutionellen
Enthusiasmus, welcher dem DPJW noch in den ersten Jahren seines Bestehens
entgegen gebracht wurde, ja der ihm dabei half, weiterzumachen und der auch für
die Motivation seiner gesamten Belegschaft stets von großer Bedeutung war.
Dagegen wurde später Arroganz demonstriert - und die Überzeugung: "Wir
wissen besser…", was besser für die Polen ist - bis hin zur völligen,
diplomatischen Geringschätzung oder Nichtbeachtung der polnischen Seite.
Aus der Perspektive der letzten
Monate fällt es mir schwer, völlig objektiv zu beurteilen, was sich in beiden
Ländern im Hinblick auf diese für sie so wesentliche Einrichtung vollzieht. Ich
kann lediglich vor dem Hintergrund meines Wissens und meiner Erfahrungen sowie
mit ziemlicher Sicherheit feststellen, dass sich sowohl der Präsident der
Republik Polen wie auch beide Premierminister der Regierungspartei dieser
wichtigen Rolle des Jugendwerks durchaus bewusst sind. Wesentlich ist die
Frage, ob sich dieses Bewusstsein praktisch auf die Vorgehensweise und das
Wirken des DPJW überträgt.
An dieser Stelle muss zudem die
Frage beantwortet werden, wie es dazu kommen konnte, dass angesichts derartiger
Ausgangsbedingungen das DPJW überhaupt je hat effektiv arbeiten können. Ich
wage zu behaupten, dass - trotz der von mir benannten Widrigkeiten - die größte
Kraft und Stärke dieser Institutionen im Engagement einzelner Menschen
begründet ist. Diese haben vom ersten Tag des Bestehens an dem Ziel und Zweck
des Jugendwerks ihre Kräfte und ihre Gesundheit geopfert. Sie kannten die Namen
all der (oder zumindest fast aller) Antragsteller, waren bei ihnen vor Ort,
organisierten selbst Veranstaltungen für sie, engagierten sich so manches Mal
persönlich bei der Lösung zwischenmenschlicher Konflikte von Austauschpartnern
und schufen ein starkes Netz informeller Verbindungen.
Natürlich gab es im DPJW auch
Menschen, die auf ihre Aufgabe dort einfach nicht vorbereitet waren und die die
Komplexität der deutsch-polnischen Beziehungen - hier nun ganz konkret in der
gemischten Belegschaft am Arbeitsplatz gelebt - überhaupt nicht begreifen
konnten. Diese waren jedoch in der Minderheit, und ich hoffe, dass es sich
lediglich um Einzelfälle handelt, die künftig nicht wieder vorkommen, denn dies
wäre zum Schaden für die Sache, für die das Jugendwerk steht.
Wichtig ist demnach, dass an
diesem Berührungspunkt des stark bürokratisierten deutschen Systems mit dem
fehlenden System auf polnischer Seite etwas entsteht, das diese beiden sich dem
Anschein nach ausschließenden Sachverhalte vereint. Dass dies höchst effektiv
funktioniert, indem versucht wird, eine neue Qualität unserer
nachbarschaftlichen Beziehungen zu schaffen, ist von Bedeutung. Ich hoffe sehr,
dass dies auch weiterhin so sein wird.
Abschließend möchte ich mich
dafür entschuldigen, dass ich keinerlei Namen genannt habe - sowohl von
Personen als auch Institutionen, welche ihren Beitrag zur Erfolgsgeschichte des
Deutsch-Polnischen Jugendwerks geleistet haben. Dies wäre auch gar nicht zu
machen gewesen, da es derer zu viele sind. In diesem konkreten Fall hatte der
Erfolg viele Mütter und Väter. An sie alle denke ich die ganze Zeit über in
Dankbarkeit zurück. Jedoch auch diejenigen wurden hier nicht namentlich erwähnt,
die die Entwicklung des DPJW von außen und von innen behinderten. Die
Interessierten wissen ohnehin, von wem die Rede ist.
Das Jugendwerk bedeutet die
ersten, in das polnische System eingebundenen, europäischen Erfahrungen in der
Jugendarbeit. Ich denke, auch auf deutscher Seite gab es bis zur Entstehung des
DPJW etwas derartiges nicht, ist doch das
Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW/OFAJ) etwas völlig anderes.
Wir (mit Stolz benutze ich hier
den Plural) haben das DPJW auf polnischer Seite geschaffen - aus eigener Kraft
und mit der Hilfe all der deutschen Freunde, die uns dabei unterstützen
wollten, denen es dabei gelang, sich von eigenen Bedingtheiten, Gewohnheiten zu
lösen, ihre deutsch-bezogene Egozentrik abzulegen und zu begreifen, dass ihre
Arbeit einer guten Sache dient. Heute brauchen wir genau das - vielleicht sogar
noch mehr als damals. Wir haben eine Institution geschaffen, der es bis zu
einem bestimmten Moment gelungen ist, losgelöst von politischen Schlagwörtern
zu funktionieren. Wie es mit ihr weitergehen wird, hängt nun ganz allein von
denen ab, die als nächste kommen werden.
Dr. Piotr Łysakowski (Historiker) war von 1998-2003 polnischer
Geschäftsführer des DPJW, nachdem er es seit seinem Bestehen in seiner Funktion
als Leiter des Förderreferats für Schul-/Sportaustausch mit aufgebaut hatte. Er
ist heute auch Beiratsmitglied der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik
Deutschland.