Gespaltene Identitäten eines aufmerksamen Grenzgängers

 

Von Christiane Thoms

 

Der Journalist Adam Soboczynski unternimmt mit seinem Roman "Polski Tango" nach mehr als 20 Jahren seiner Übersiedlung nach Deutschland eine Reise ins Land seiner Kindheit: Schwierige Beziehungen und gespaltene Identitäten liegen auf dem Weg seiner Betrachtung zwischen Deutschland und Polen. "Polski Tango" erzählt deutsch-polnische Geschichten aus der Perspektive eines Grenzgängers, der in beiden Kulturen gleichermaßen zuhause und fremd ist.

 

Als Kind verlässt Soboczynski mit seinen Eltern das Heimatland Polen und versucht in Koblenz Integration zu leben, die sich für die Familie als ungeahnt schwierig erweist:

Über Nacht verschwanden die Insignien des Ostens: Mein Vater nahm sich seinen polnischen Schnurbart ab, und Mutter trug Jeans statt bunter Röcke, die kleinen Kioske mit Plastiksoldaten wurden ersetzt durch Kaufhäuser mit Spielwarenabteilungen. Sie stellten die sozialistische Warenwelt in den Schatten. (...) Es geschah oft, dass Vater nicht verstanden wurde. Er hatte sich ein eigentümliches Deutsch angeeignet, es folgte einer einsamen Grammatik. (...) Mutter wiederum schämte sich beim Metzger. Sie kochte gerne Flaki, eine polnische Innereiensuppe. Kaufte sie die Kutteln, dann fühlte sie sich ertappt. Nur Polen kaufen in großen Mengen Kutteln ein, behauptete sie. Die Deutschen kaufen sie nur, um sie an ihre Hunde zu verfüttern.

Bereits der bewusst gewählte Titel zeigt das Ausmaß der Entwurzelung. "Es heißt Polskie Tango", wurde Soboczynski von einem Kneipenbesucher in Polen verbessert. Sein Polnisch wurde zwar immer flüssiger, je mehr er trank, aber die Endungen, die polnischen Fälle, Geschlechter und Konjunktionen hatten begonnen, ein unkontrolliertes Eigenleben zu führen.

Ich wurde verstanden, aber ein jeder wusste sogleich, dass ich aus Deutschland kam. Dort war ich oftmals "der Pole", trotz eines deutschen Passes, in Polen würde ich fortan "der Deutsche" sein.

Soboczynskis Eltern sind nicht mehr in Polen und noch nicht in Deutschland angekommen und scheinen sich weder anzupassen noch zu verweigern. Obwohl in Berlin oder beispielsweise in Hamburg tausende Polen und Polinnen leben, spielen sie im heutigen Streit über Integration und Leitkultur in Deutschland scheinbar keine Rolle. Der Autor beschreibt diese Generation als unsichtbare "dritte Art" der Integration. Vater Soboczynski wundert sich anfangs, wie viele deutsche Orte "Ausfahrt" heißen, und Adam ist beim ersten Diktat in der Schule verwundert, wie häufig das Wort "Komma" vorkommt, das er immer ordentlich ausschreibt.

Immer wieder schämt sich die Mutter bei Besuchen in Polen zuzugeben, dass sie in Deutschland putzt. Allerdings schämen sich die Eltern auch ihrer polnischen Verwandtschaft, die sie in Deutschland besucht und nach billigem Rasierwasser riecht und sich die Zigaretten schon im Hausflur anzuzünden pflegt.

Wenn Soboczynski uns die zu Miniaturen verdichteten und genau beobachteten, oft  originellen Erlebnisse vor Augen führt, wirkt er nicht immer überzeugend. Der Autor scheint zwar dem Lebenssinn auf der Spur zu sein und Freude an der Sprache zu haben, jedoch ist so manches, sicher bewusst überspitzte Bild, fragwürdig: Der Vergleich einer typisch polnischen Putzfrau mit einer deutschen Trümmerfrau, die, so Soboczynski, beide so richtig zupacken können, beruht jedoch auf einem unterschiedlich motivierten Hintergrund der Agierenden.

 

Die von einem aufmerksamen Grenzgänger beobachtete polnische Gegenwart

 

Mit Schärfe und Witz hinterfragt Soboczynski die Polenklischees der Deutschen und umgekehrt. Er stellt das Selbstbild gegen ein Fremdbild, arbeitet mit einer ganzen Parade von Klischees und Paradoxa und lässt dabei die Realität scharf konturiert erscheinen. Leider kommt Soboczynski dabei nicht ohne stereotype Charakterisierungen aus.

Wer sich für die polnische Gegenwart interessiert, findet brillante Alltagsbeschreibungen, Porträts bekannter Kabarettisten, Maler und Schriftsteller, Probleme Homosexueller sowie Erlebnisse, die Soboczynski auf seiner Reise durch das heutige Polen erfahren hat:

Vor dem Bahnhof Warszawa Centralna warten zwei Sorten von Taxifahrern. Es gibt die guten Taxifahrer, und es gibt die bösen Taxifahrer. Die guten Taxifahrer halten einem schwungvoll die Mitsubishitür auf - natürlich die der hinteren Sitzreihe, etwa wie in L.A. -, und manövrieren einen durch die Stadt, als gefährde man hochschwanger die Kunstledergarnitur. Nebenher faseln sie etwas durch ihren mächtigen Lech-Wałęsa-Schnurrbart, (…) und noch bevor sie ihr Klagelied über die polnische Mafia, die Warschauer Preise und die EU abgesungen haben, erreicht man zwar ein wenig zerdellt, aber doch recht glücklich sein Ziel.

Die bösen Taxifahrer machen eigentlich genau dasselbe. Deswegen sind die bösen Taxifahrer auch so schlecht von den guten Taxifahrern zu unterscheiden.

Doch die bösen Taxifahrer - das erklärte mir später die grazile Dame vom Polizeipräsidium, während sie ihre Zigarette ausdrückte - sind nur verkleidete Taxifahrer. Ihre Schnurrbärte sind nur angeklebt, und sie fahren den einsamen Passagier nachts außerplanmäßig zum Jüdischen Friedhof oder zum Park Józefa Piłsudskiego. Sie zücken dann so eine alberne, kleine Goldfinger-Damenwaffe, und man selbst zückt behende seine Brieftasche. Nach einem prüfenden Blick in Geldscheine, Kreditkarten und Ausweise bitten die bösen Taxifahrer einen schließlich gelangweilt darum, ihr Taxi zu verlassen. Wer geistesgegenwärtig ist, merkt sich natürlich das Kennzeichen das davonfahrenden Autos; am nächsten Tag erfährt man leider, daß der Wagen irgendwann als vermißt gemeldet wurde. Wer Glück hat, dem kleben noch ein paar silberne Złoty in der Hosentasche, um die Bankkarten an der nächsten Telefonzelle zu sperren. Und wer Mut hat, der kann vom letzten Geld in ein neues Taxi steigen und beten, daß der Schnurrbart diesmal echt ist.

Irritierend sind allerdings die im Roman so unterschiedlichen Erzählperspektiven. Soboczynski verkocht Kindheitserinnerungen mit soziologischen Analysen im Reportagestil und mutet der Leserschaft so einen häufigen Wechsel der verschiedenen Stilebenen zu.

 

Die Suche nach Identität

 

 "Polski Tango" ist nicht nur ein Buch über Polen, sondern auch über die Suche nach Identität:

Beide Länder haben einen Komplex. Die Polen haben einen Minderwertigkeitskomplex, da Russland und Deutschland ihnen mächtiger, finanzstärker und größer erscheinen. Deutschland hat einen moralischen Komplex gegenüber Frankreich und Polen, der unheilvollen Geschichte wegen, resümiert Soboczynski nach seiner Reise.

Das Ergebnis der autobiografischen Spurensuche ist "Polski Tango", jener Tanz, den Soboczynski in der Kneipe gehört hat. Er wird zu einer Metapher im engen und im weiten Sinne, da Nähe und Ferne, Abschied und Wiederkehr sympathisieren. Und genau das macht für Soboczynski das Verhältnis Deutschland-Polen aus.

Das Tango tanzende Paar, eingebettet in den Erzählrahmen der Reise, zelebriert genau diese Nähe und diesen Abstand. Ein stolzes Paar, das stolpert und auf den harten Boden fällt. Würdevoll und lachend erhebt sich das nicht mehr junge Paar und weiß, dass Leben auch immer Verlieren heißen kann.

 

Adam Soboczynski: Polski Tango. Eine Reise durch Deutschland und Polen. Gustav Kiepenheuer Verlag, Berlin 2006. 207 Seiten. 17,90€