Anmerkungen zur Diskussion in Polen um das Buch „Angst“

 

Von Wulf Schade

 

Der vorstehende Artikel aus Tygodnik Powszechny gibt einen Eindruck darüber, wie differenziert in Polen über das Buch „Angst“ (Strach) von Jan Tomasz Gross, damit aber auch über den Antisemitismus dort, diskutiert wird. Natürlich ist das nur die eine Seite, denn es gibt auch die andere Seite, die ähnlich wie vor acht Jahren, als das ebenfalls von Gross verfasste Buch „Nachbarn“ (S¹siedzi) erschien, jegliche Diskussion über fehlerhaftes Verhalten von Polinnen und Polen gegenüber der jüdischen Bevölkerung sowohl während der deutschen Besatzung wie auch in der Nachkriegszeit ablehnt, allenfalls Einzelfälle als absolute Ausnahmen zugesteht.

Es ist nicht so einfach festzustellen, wer den größeren Einfluss in der polnischen Gesellschaft hat. Die Vorstellung, anlässlich des Buches Angst“ werde die tief verankerte Verwurzelung des Antisemitismus der polnischen Bevölkerung deutlich zu Tage treten, erwies sich als falsch, auch wenn es für einen nicht geringen Teil zutrifft. Im letzten Jahrzehnt hat sich in Polen eine aktive Gegenströmung zum Antisemitismus herausgebildet, wie die Untersuchungen des Sozialwissenschaftlers Prof. Ireneusz Krzemiński aus dem Jahre 2003 zeigten. Er arbeitete heraus, dass sich in Folge der Diskussionen um das Buch „Nachbarn“ zwar der Antisemitismus ungehemmter äußerte, sich gleichzeitig aber eine deutlich ausgeprägte anti-antisemitische Strömung entwickelte. Diese artikulierte öffentlich eine bereits seit Jahren latent vorhandene Ablehnung des Antisemitismus größerer Bevölkerungsteile und verbreiterte dadurch auch die Basis dafür, dass deren Einfluss zunimmt An dieser Entwicklung haben sicherlich auch die ein Verdienst, die wie die auflagenstärkste Tageszeitung Gazeta Wyborcza und die einen offenen Katholizismus repräsentierende Wochenzeitung Tygodnik Powszechny (TP) bereits seit Jahrzehnten eine kritische Diskussion um die Vergangenheit Polens und des Antisemitismus dort in ihren Seiten zulassen. Ich erinnere hier nur an die Diskussion 1987 um den Artikel „Arme Polen schauen aufs Gettho“ des polnischen Literaturwissenschaftlers Jan Błoński in TP wie natürlich auch an die Diskussion, die im Jahre 2000 um die Ereignisse in Jedwabne begann und mit dem anschließenden öffentlichen Schuldbekenntniss des damaligen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski einen Höhepunkt fand.

Die in öffentlichen Veranstaltungen, in Zeitungen sowie im Radio und Fernsehen geführte Diskussion um „Angst“ zeigt, dass die Befürworter eines aktiven Kampfes gegen den Antisemitismus in Polen deutlich souveräner mit der Situation umgehen als während der Jedwabne-Debatte vor acht Jahren. Von Beginn an wird von ihnen auf die oftmals zu großen Pauschalvorwürfe von Gross verwiesen, ohne die Substanz der Thesen abzulehnen. Man fordert eine deutlich differenziertere Diskussion, die man dann aber auch führt. So wird beispielsweise in dem Artikel „Zwischen den Worten“ (Między słowami) von Dariusz Libionka in TP 8/2008 die katholische Kirche in Polen vor der pauschalen Verurteilung von Gross in Schutz genommen, obwohl Libionka die Vorwürfe gegen hohe Würdenträger der katholischen Kirche insgesamt für mindestens teilweise gerechtfertigt hält. Er belegt, dass selbst höchste Würdenträger der Kirche wie Kardinal Adam Sapieha, Kardinal August Hlond, Bischof Stefan Wyszyński usw. antisemitische Positionen vertraten und äußerten.

Zu einer ähnlich differenzierten Diskussion sind die national-klerikalen und nationalistischen Kräfte Polens nicht in der Lage. Der national-klerikal orientierte Teil der katholischen Kirche, wie er sich beispielsweise in der Wochenzeitung der Diözese CzęstochowaNiedziela“ manifestiert, lässt eine Diskussion über polnischen Antisemitismus gar nicht zu. Es gibt ihn seiner Meinung nach so gut wie gar nicht, schon gar nicht in der katholischen Kirche. Er werde herbeigeredet, v.a durch die Juden wie Gross selbst. Unterstützung findet diese Haltung in allen politischen nationalistischen Strömungen, die meist mit Radio Maryja oder den Traditionalisten in der Katholischen Kirche verbunden sind. Die Argumente der Nationalisten verweisen immer wieder darauf, dass vielen Jüdinnen und Juden während der deutschen Besatzungszeit nur durch den Einsatz von Polinnen und Polinnen - katholische Laien wie Kleriker - das Leben gerettet worden ist. Die Juden hätten es ihnen dann gedankt, in dem sie den Kommunismus aus dem jüdisch-bolschewistischen Russland in Polen installierten. Heute würden sie das Ansehen von Polen in der Welt durch die Behauptung, es sei ein antisemitisches Land, schlecht machen (s. Kasten).

Von dieser Seite werden in Polen Veranstaltungen organisiert, die das polnische Volk vor ‚Verleumdungen' in Schutz nehmen sollen. Eine solche Veranstaltung fand beispielsweise am 9. Februar 2008 in einer Kirche der Jesuiten in Krakau statt. Die Veranstaltung trug den Titel: „Der Kampf gegen die Kirche und der Antipolonismus“. Die Hauptredner, der in Polen bekannte nationalistische und antisemitische Professsor Jerzy Robert Nowak wie auch der oftmals in Radio Maryja auftretende Professor Bogusław Wolniewicz, machten vor den ihnen größtenteils wohlgesonnenen etwa 1000 Zuhörerinnen und Zuhörer keinen Hehl aus ihren Ansichten, die in dem Ausruf von Wolniewicz gipfelten: „Sie greifen uns an, also müssen wir uns verteidigen. Wer uns angreift? Die Juden!“

Diese Veranstaltung rief unter vielen Personen und Organisationen in ganz Polen breite Proteste hervor. Mit Unverständnis wurde v.a. aufgenommen, dass eine solche Veranstaltung in einer katholischen Kirche möglich sei. Der sich zur Zeit der Veranstaltung in Rom aufhaltende Leiter der Krakauer Provinz der Jesuiten, Priester Krzysztof Dyrek, verurteilte denn auch unverzüglich in einer öffentlichen Erklärung diese Veranstaltung.    

 

 

„Antipolnische Absichten“

Bereits anlässlich solcher Bücher  wie „Gespenstisches Jahrzehnt“ (1998) oder „Nachbarn“ (2000) wies ein bedeutender Teil der Kritiker von Gross auf dessen extreme Tendenziösität, evidenten Fälschungen sowie auf einen fatalen Mangel des Gebrauchs von wissenschaftlichen Arbeitsmethoden hin. (…) Einer der ersten Personen, die am treffendsten die antipolnischen Absichten von Gross aufzeigte, war der berühmte polnische Forscher aus den USA, Prof. Iwo Cyprian Pogonowski [über dessen antisemitische Positionen s.a. POLEN und wir Nr. 2/2007 - w.s.], der bereits 1998 (…) deutlich und ohne Umschweife darauf hinwies, dass „das wirkliche Ziel von Gross die Bildung von Mythen über die Teilnahme des polnischen Volkes an der Vernichtung der Juden ist“. „Es ist leichter, Entschädigungen von Schuldigen als von Mitopfern einzutreiben. (…) Die Propaganda hilft den extremen jüdischen Gruppierungen in ihrem Versuch, von der polnischen Regierung Tribut für die in Polen von den Deutschen, Sowjets und gewöhnlichen Verbrechern begangenen Verbrechen zu erzwingen.“

aus: Jerzy Robert Nowak, Wie Gross die Polen verleumdet, (Jak Gross szkaluje Polaków), Niedziela Nr. 5 v. 3.2.2008