Ein sichtbares Zeichen?

 

Nun hat also Polen angeblich seinen Widerstand aufgegeben; Anfang Februar hat der Emissär der „Kanzlerin der ruhigen Hand“, Kulturstaatssekretär Bernd Neumann erfolgreich in Warschau mit dem „neuen“ Deutschland-Beauftragten der Tusk-Regierung, dem ehemaligen Außenminister und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Władysław Bartoszewski verhandelt: Polen wird sich einer Dauerausstellung über „Vertreibungen“ als „sichtbares Zeichen des Gedenkens“ in Berlin nicht mehr widersetzen.

 

Vorbei die Aufregung der letzten Jahre? Eher sieht es danach aus, als ginge die Auseinandersetzung in der gewohnten quälenden Weise weiter. Denn es ist nur zu offensichtlich, dass das mit dem Begriff des "Zentrums" verknüpfte Unternehmen sich gegen die Prinzipien der guten Nachbarschaft richtet. ‚Vertreibung' ist nicht einfach nur ein historischer Begriff, sondern eine politische Metapher, die nach den Absichten des Bundes der Vertriebenen (BdV), die in Deutschland von manchen in bester Absicht unterstützt werden, als ein eigener Tatbestand der Verletzung von Menschenrechten kodifiziert werden soll. Es geht dem BdV entgegen oft gehörter Beteuerungen keineswegs um die Verhütung künftiger Vertreibungen, ein Ziel, dem man nur beipflichten kann, es geht vielmehr um die Rekonstruktion von Vergangenheit. Es geht darum, so zuletzt am 10.02.08 der Kommentator Hubert Maessen im WDR, dass „die Polen endlich zugeben, dass auch Polen Täter waren“. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Ziel war die Ausstellung „Erzwungene Wege“ in Berlin, um die vor knapp zwei Jahren heftig zwischen Polen und Deutschland gestritten wurde. Exemplarisch wurde in dieser Ausstellung die Thematik der Vertreibung unter Menschenrechtsaspekten dargestellt: die Vertreibung der Armenier, die Vertreibung der Bessarabien-Deutschen aufgrund des Hitler-Stalin-Abkommens, die Vertreibung der Polen aus dem „Warthegau“, die Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien und schließlich Jugoslawien. Sosehr die individuellen Schicksale der Betroffenen berühren, so ähnlich die Bilder der verzweifelten und gehetzten Menschen scheinen, so unterschiedlich ist doch jeder einzelne dieser Vorgänge zu bewerten.

Der semantische Streit, ob es sich um ‚Vertreibung' oder ‚Umsiedlung' handelte, ist für die Sache, um die es geht, nachrangig. Für die betroffenen Menschen war der Verlust von Heimat und Eigentum und die damit verbundene Rechtlosigkeit, Unsicherheit, materielle Not und soziale Entwurzelung ein brutaler und schmerzlicher Akt. Doch der Versuch, diesen Schrecken als Verbrechen gegen Menschenrechte zu qualifizieren, geht fehl. Das in diesem Zusammenhang oft zitierte Beispiel der Vertreibung der Armenier unter der Herrschaft der Jungtürken aus ihren transkaukasischen Siedlungsgebieten in die syrische Wüste mit ihren bis zu 1,5 Millionen Todesopfern ist ein Völkermord gewesen. Das war jedoch bei der Vertreibung der Deutschen aus ihren Siedlungsgebieten im ehemaligen Ostdeutschland nicht der Fall.

Die erzwungene Migration der Deutschen erfolgte aufgrund eines international rechtmäßigen Abkommens der Siegermächte der Anti-Hitler-Koalition - des Potsdamer Abkommens. Damit wurde nach den Unrechtsexzessen des nationalsozialistischen Deutschland eine neue Rechts- und Friedensordnung in Europa gesetzt. Sie sah u.a. die Ausdehnung Polens auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete vor. Die dort noch verbliebenen Deutschen erhielten ausdrücklich nicht die polnische Staatsangehörigkeit. Niemand hätte sich damals vorstellen können, dass diese Deutschen im neuen polnischen Staat als Ausländer hätten leben können. Sie mussten ihre polnisch gewordene Heimat verlassen. Insofern waren der Verlust der deutschen Ostgebiete und die Zwangsaussiedlung ihrer noch nicht geflüchteten Einwohner auch keine kollektive ‚Strafe', sie sind auch nicht als Antwort auf die Verbrechen der Deutschen zu rechtfertigen. Die Vertreibung war vielmehr die Voraussetzung für die Rückkehr des Rechts in eine Welt des Unrechts. Dieses Unrecht aber hatte Deutschland allein zu verantworten.

Es ist wahr, dass es im Zusammenhang mit der Durchführung dieses legitimen Zwangs gegen die damals noch in den ehemaligen deutschen Gebieten verbliebenen Einwohner zu brutalen und gewalttätigen Handlungen gegen Einzelne und auch gegen Gruppen gekommen ist. Es hat kriminelle Akte von Seiten der Vertreiber gegen die Vertriebenen gegeben. Auch ist die nationale Zuordnung ‚Polen' und ‚Deutsche' - und damit die Entscheidung über bleiben dürfen/müssen und gehen müssen - besonders in Bezug auf die Oberschlesier und Bewohner Ostpreußens nach fragwürdigen ethnischen und politischen Kriterien erfolgt. Diese Einwände berühren aber nicht die grundsätzliche politische Bewertung der Vertreibung der Deutschen und sind nicht geeignet, die Vertreibung als solche zu kriminalisieren. Sie war damals und bleibt auch in der heutigen Betrachtung legitim. Sie bildete die Grundlage für die neue staatliche Ordnung in Europa und damit auch für die Wiederbegründung des polnischen Nationalstaats. Ohne diese Vertreibung hätte Polen, ausgerechnet der Staat, der als erster den Mut hatte, gegen die räuberische Politik Deutschlands militärischen Widerstand zu leisten, nach 1945 nicht wieder als Staat entstehen können.

Wer die Legitimität der Vertreibung der Deutschen aus den polnischen Westgebieten angreift, greift die Legitimität der polnischen Souveränität in diesen Gebieten an, und das ist dem Bund der Vertriebenen auch bewusst. Ohne diese Gebiete aber war damals und ist auch heute ein polnischer Staat in Europa - das heißt inzwischen: in der Europäischen Union mit ihrer Freizügigkeit und Niederlassungsrecht für alle Bürger - nicht lebensfähig. Man stelle sich nur einmal die Frage, wie Polen heute aussähe, wenn die Deutschen dort hätten wohnen bleiben können? Es zeigt sich, dass jede Alternative zur Zwangsumsiedlung der Deutschen eine Absurdität geschaffen hätte. Die Vertreibungsmetapher enthält also einen fundamentalen Angriff auf die Existenz Polens als Staat.

Der jetzt gefundene „Kompromiss“, der lediglich durch das resignierte Einknicken des einen Partners zustande gekommen ist, kann alles Mögliche sein, nur kein Zeichen der Verständigung, in dem die Bereitschaft zur Übernahme der Verantwortung für die Vergangenheit als Grundlage für gutnachbarschaftliche Zusammenarbeit zum Ausdruck gebracht würde. Ein solches sichtbares Zeichen hätten wir uns allerdings gewünscht.                                                  

Friedrich Leidinger