Sakrale Schnitzereien zwischen Bauschutt

 

Von Markus Nowak

 

Sie ist ein Ergebnis der jahrelangen Verhandlungen um den Westfälischen Frieden, heute zieht sie Hunderttausende Besucher gerade aus Deutschland in ihren Bann: die Friedenskirche im niederschlesischen Schweidnitz (Świdnica). 352 Jahre ist es her, als Schweidnitzer Protestanten unter böhmischer Krone 1656 dem Breslauer Baumeister Albrecht von Säbich den Auftrag für das Gotteshaus erteilten. Er errichtete binnen eines Jahres eine Basilika aus Holz. Denn das war eine der damaligen Auflagen: Die Bauzeit durfte ein Jahr nicht überschreiten, zudem durfte das Gotteshaus nur außerhalb der Stadtmauern entstehen und nicht aus Stein gebaut sein. Errichtet wurde dennoch ein prunkvoller Barockbau, der sich seit acht Jahren Unesco-Weltkulturerbe nennen darf.

 

Außen profan, Innen prunkvolle Schnitzereien

Waldemar Pytel ist seit 21 Jahren evangelischer Geistlicher in dem katholisch-dominierten Schlesien und erinnert sich an die Anfangszeit: „Ich wusste damals nicht, in welch tiefes Gewässer ich mich begebe.“ Damit meint der 49-jährige Pastor den sanierungsbedürftigen Zustand der Basilika, der nicht nur auf die Ignoranz der kommunistischen Machthaber der Volksrepublik gegenüber sakralen Denkmälern zurückzuführen war. Die Kirche war insgesamt in einem schlechten baulichen Zustand, das Holz und die gesamte Bausubstanz waren witterungs- und altersbedingt aber auch durch Umweltbelastungen stark gefährdet. „Ich hatte aber das Glück, dass zu meiner Zeit die Renovierung begonnen wurde und stark voranschreitet“, resümiert er seine Dienstzeit in Schweidnitz dennoch positiv. Und für die kommenden Jahre sind weitere Restaurationsarbeiten geplant - bis 2013 sollen 80 Millionen Złoty (ca. 22 Mio. Euro) dafür aufgewendet werden.

Der marode Zustand des Gotteshauses ist von außen nicht zu erkennen, da fällt der Fachwerkbau vor allem durch seine Dimension auf: Das dreischiffige Langhaus ist 44 Meter lang und 20 Meter breit, gekreuzt wird es von einem 33 Meter langen Querhaus mit einer Breite von 20 Metern - damit gilt sie als die größte Holzkirche in Europa. Einen Glockenturm durfte die Basilika anfangs nicht besitzen, erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde in 50 Meter Entfernung ein Turm errichtet. Gerade dieser soll noch in diesem Jahr von Grund auf saniert werden. Der Außenputz des Glockenturms, so plant Pytel, solle wieder einer Fachwerkfassade weichen, um ein Ensemble mit der Basilika zu bilden. Wirkt das Ensemble von Fachwerkkirche mit Sakristeianbau recht profan, verschwindet dieser Eindruck beim Betreten des 15 Meter hohen Gotteshaus: prunkvolle, hölzerne Verzierungen sowie ansehnliche Malereien schmücken die 1090 Quadratmeter große Halle, in der einst bis zu 7500 Gläubige Platz gefunden haben sollen.

Innen sticht dem Besucher besonders der Altar ins Auge, anlässlich des 100-jährigen Kirchenjubiläums im 18. Jahrhundert erhielt er seine heutige Form. Über dem Altartisch befindet sich ein Flachrelief mit der Abendmahlszene, darüber biblische Gestalten. Klangliches Element des Gotteshauses ist die nach rund drei Jahren Bauzeit 1669 vollendete Orgel, die ebenfalls auf dem 80-Millionen-Zloty-Sanierungsplan für die kommenden Jahre steht. Ein farbenfrohes Element dagegen bilden die nach ebenso langer Schaffenszeit entstandenen Deckengemälde. Sie zeigen vier Motive aus der Johannesoffenbarung: das himmlische Jerusalem, Gott Vater mit dem Buch mit den sieben Siegeln, den Fall des sündigen Babel und das Jüngste Gericht.

Ein wahres Prunkstück der Kirche ist die Kanzel, die im 18. Jahrhundert nachträglich errichtet wurde. Sie ist verziert mit zahlreichen Reliefs und Schnitzereien. Noch vorhanden, jedoch nicht mehr im Gebrauch ist eine Sanduhr, die an der Kanzel vom Kirchendiener vor Beginn der Predigt umgedreht wurde, damit der Pfarrer seine Zeit nicht überschritt.

Größte Holzkirche Europas für nur 150 Gläubige

Dass der jetzige Prediger Waldemar Pytel seine Kanzelzeit überschreitet, kommt nur noch selten vor,  nach dem Zweiten Weltkrieg sind die evangelischen Gemeindemitglieder ohnehin immer weniger geworden. Rund 150 Mitglieder zählt die evangelisch-augsburgerische Gemeinde Schweidnitz heute -protestantische Diaspora in einem Land mit rund 90 Prozent Katholiken. Diese Tatsache mag auch ein Grund für die Verwahrlosung des Gotteshauses bis Anfang der 1990er Jahre gewesen sein. Durch den Diaspora-Status der evangelischen Christen ist die Gemeinde finanziell nicht breit aufgestellt, eine Kirchensteuer wie in Deutschland fehlt in Polen zudem. Während die katholische Kirche zwischen Oder und Bug aus eigener Kraft immer wieder neue Kirchen baut, war die Sanierung der Friedenskirche von Schweidnitz auf die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Seit Anfang der 1990er Jahre flossen wesentliche Geldsummen aus dem Nachbarland westlich der Oder, Pfarrer Pytel schätzt die Unterstützung aus Deutschland auf rund vier Millionen Euro.

Die 22 Millionen Euro Sanierungskosten in den kommenden fünf Jahren erwartet Pytel aus mehreren Quellen. Das Kulturministerium und die Wojewodschaft haben finanzielle Beteiligung zugesagt, da nun auch die Zufahrtstraße und das Gelände mit in die Instandsetzungsarbeiten einbezogen werden sollen. Ein großer Teil der Kosten soll aber auch durch EU-Gelder gedeckt werden. Insgesamt stehen neben Orgel- und Glockenturmrenovierung die Sanierung des Holzdaches, eine Erneuerung der 180 Kirchenfenster sowie die Restaurierung des drei Hektar großen Friedhofs in unmittelbarer Umgebung der Holzbasilika auf der Agenda. Gerade die Gräber sind es, die das Bild des geschichtsträchtigen Ortes sehr gut ergänzen: Sie sind alle in deutscher Sprache gehalten und weisen damit auf die einstigen Bewohner der Region vor dem Zweiten Weltkrieg hin. Im Grunde kann man an der Schweidnitzer Friedenskirche den Ablauf der europäischen Geschichte ablesen: Gebaut wurde sie als Auflage nach religiösen Auseinandersetzungen, die nationalstaatlichen und totalitären Strömungen des 19. und 20. Jahrhunderts überlebte sie nicht ganz unbeschadet und nun kehrt sie im vereinten Europa zu alter, neuer Pracht zurück. Den möglichen EU-Geldern sei Dank.