Die folgenden Auszüge stammen
aus dem Beitrag einer polnischen
Zwangsarbeiterin, der 1976 im polnischsprachigen Sammelband Z LITERA „P“ (Der
Buchstabe „P“) erschienen ist.
In der Fischräucherei
Von Mieczyslawa Kowalinska-Radosz
Der Frost dringt seit einigen
Tagen in jede Ritze. Feuerung haben wir nicht. Es ist der 16. Januar 1942. Aus
dem Schlaf weckt uns gewaltiger Lärm, von Tritten mit schweren Stiefeln gegen
die Tür und unheilverkündend eine Stimme befiehlt:
„Aufmachen!“
Ich schnelle hoch, hülle mich in
eine Decke und eile, um aufzumachen. Ich bin in diesem Haus die Kräftigste. Ich
wohne zusammen mit meiner Mutter und Tante, die Männer haben sie schon lange
abgeholt. Wir verbringen unser Leben in ewiger Angst. Voller Unruhe eilen wir
drei zur Tür. Ich sehe die entsetzten Augen meiner Mutter und angstvoll beginnt
in meiner Kehle etwas zu würgen. Ich öffne die Tür. In die Küche, die uns
gleichzeitig als Wohnzimmer und Schlafzimmer dient, kommen ein deutscher
Gendarm und nach ihm zwei junge Kerle in Uniform der Hitlerjugend. Der Deutsche
fragt hart und kurz:
„Mieczysława
Kowalińska?“
„Ja.“
„In 10 Minuten anziehen, Abfahrt
zur Arbeit.“
Irgendwelche Fragen waren
nutzlos, ich wusste das gut, denn sie hatten ja schon meinen Bruder abgeholt.
Schade um die Zeit. Mutti hat Tränen in den Augen, sie begreift, dass sie ihr
die letzte ihrer Lieben mitnehmen und sie allein bleiben muss. Schon 1939 haben
sie ihr direkt aus der Gefangenschaft ihren Mann mitgenommen und kurz danach
ihren 15 Jahre alten Sohn. Diese letzte Trennung ging über ihre Kräfte. Mit
einem Blick bitte ich, sie möge es aushalten, denn ich fürchte Worte, die
unsere Verzweiflung vergrößern und beide würden wir in Tränen zerfließen.
Ich zog mich schnell an, warf
Wäsche und ein passendes Kleid in die Tasche und schaffte in den 10 Minuten,
mich von meinen Teuren zu verabschieden, ungewiss für wie lange. Es tat mir so leid um meine Mutter, aber mein Verstand erlaubte mir nicht,
vor den Häschern zu weinen!
Ich verließ das Haus eskortiert,
nicht wissend für wie lange und in welche Richtung mich das Schicksal treibt.
Auf den nächtlichen Straßen in Kalisz erreichten wir
die Schule, die zunächst für die vertriebenen Juden als Lager eingerichtet und
jetzt für uns da war. Ich befand mich in einem großen Saal unter mir
unbekannten Menschen, Gedränge, in den Gesichtern spiegelte sich das
Missgeschick. Nach einer Stunde wurden wir geheißen, uns nackt auszuziehen und
ins Bad zu gehen. Unsere Proteste riefen nur Gelächter bei den Deutschen hervor,
die um das Frauenknäuel herumstanden. „Ihr Polen seid
alles Drecksschweine, ihr habt Läuse, man muss euch baden“. Das hat mich
erzürnt, ich habe es nicht ausgehalten, ich konnte nicht schweigen, so nah war
mir plötzlich das Wort „die Polen“ - dafür bekam ich eine Faust ins Gesicht.
Ich befand mich nackt im Gedränge nackter Frauen im Bad, wo aus den Duschen
zuerst heißes Wasser und dann eiskaltes herausgelassen wurde. Unsere Pein rief
allgemeines Gelächter bei der uns bewachenden Eskorte hervor. Dann wurden uns
die langen Haare abgeschnitten. Das ist mir erspart geblieben, denn ich hatte
kurzes Haar.
Dann trieb man uns wieder in den
Saal, wo wir uns schnell anziehen sollten. Man schrieb die Personalien auf,
teilte uns in Gruppen ein und führte uns nach draußen. In der Menge hinter dem
Draht Wartender, sah ich meine Mutter, mein liebstes und teuerstes Wesen.
Soviel Kummer war in ihren Augen, soviel kraftlose Trauer! Die wenigen Stunden
hatten sie so verändert, sie war weiß geworden, ihre Augen waren von den Tränen
geschwollen. Ich lächelte ihr zu, erstickte das Leid im Halse und hielt die
sich in den Augen sammelnden Tränen zurück. Ob ich meine Mutter je wieder sehen
werde?
Man hat uns in eine lange Reihe
aufgestellt und wieder von Gendarmen eskortiert zum Bahnhof abgeführt und uns
in Züge geladen. Der Bahnsteig war voller Menschen, Schreie, lamentieren
und weinen. Ich wollte, dass der Zug endlich abfuhr, um diesem Wehklagen zu
entgehen. Ich konnte diesen Anblick, der vor dem Bahnhof stehenden Menschen,
unter denen sich meine Mutter befand, nicht ertragen. Ich wusste, dass jede
Minute an ihren angegriffenen Nerven zehrt. Was soll es, es ist doch alles
schon entschieden. Wenn wir aus dem Bahnhof hinausgefahren sein werden, wird
sich alles allmählich beruhigen - so ist das Leben. Schließlich bewegte sich
der Zug. Weniger widerstandsfähige Frauen schrieen, weinten; ich war ohne
Tränen.
Nicht wissend wohin, fuhren wir
sehr lange. Der Zug hielt, fuhr wieder, schließlich hielt er und die Waggons
wurden geöffnet. Vor uns eine Tafel „Berlin - Ostbahnhof“.
Schließlich fuhren
die Zielstation an. Wir stiegen aus. Einige Waggons wurden nicht geöffnet, die
dort Eingeschlossenen fuhren weiter. Unter der Bezeichnung „Kiel“, die ich auf
dem Bahnsteig las, konnte ich mir in dem Moment nichts vorstellen. Auf dem
Bahnhof warteten bereits Käufer auf die angekommene menschliche Ware. Wir
wurden in eine Reihe aufgestellt, an uns gingen Deutsche vorüber, betrachteten
uns genau, bewerteten uns wie Kühe auf dem Markt, mit Blicken von Kopf bis Fuß
taxierend.
Ich wurde von einem dicken
Deutschen ausgewählt. Ich war ja kräftig, gesund, gut gebaut und musste mich
also für die Arbeit eignen! Außer mir wählte er noch drei Mädchen aus und führte
uns zur Seite. Ein anderer Deutscher suchte sich ebenfalls einige Mädchen aus
und der Rest, ungefähr 60 Frauen, wurden zu einem Lager abgefahren. Unser Herr
nahm uns vom Bahnsteig und wir gingen zu Fuß irgendwohin.
Schließlich kamen wir in unserer
neuen Bleibe an. Einst war das eine Bude mit zwei Ausstellungsfenstern, es war
eine Reparaturwerkstatt für Motor- und Fahrräder. An dem einstöckigen Häuschen
stand auf einem Schild die Straße und Hausnummer, Hamburger Chaussee 58. Hier
also sollten wir wohnen. Der Deutsche öffnete die Tür und wir gingen rein. Ich
sah so etwas ähnliches wie einen Korridor mit
steinernem Fußboden, auf der rechten Seite zwei Kasernenspinde, weiter einen
Tisch, auf der linken Seite eine Tür, die in eine Kammer mit einem Küchenherd
führte. Das ist unsere Küche, früher wahrscheinlich eine Materialvorratskammer
für die Werkstatt. Die Tür auf der linken Seite führte uns in die Wohnkammer,
auf der linken Seite standen wieder vier Kasernenschränke, auf der rechten
Seite vier eiserne Betten mit grauen Decken bedeckt, vor uns wieder zwei Ausstellungsfenster,
ein Tisch und eine Bank. Neben der Tür stand ein runder eiserner Ofen. Unser
Führer hieß uns, die Sachen auszupacken und verschwand. Nach einiger Zeit
kehrte er zurück, brachte uns Erbsensuppe und eine Schachtel geräucherter
Bücklinge.
Der Deutsche informierte uns,
dass wir in einer Fischräucherei arbeiten werden. Morgen komme er uns holen.
Total kaputt, vor Kälte zitternd, legten wir uns unter die Decken und fielen in
einen schweren Schlaf.
Zwangsarbeit in der Fischräucherei
Nächsten Morgen kam der uns schon
bekannte Deutsche. Er hieß Leissner. Er war Meister
in der Fischräucherei der Gebrüder Lass, in der Firma „Fischräucherei Hanning Lass & Söhne“ in der Straße Alte
Lübecker-Chaussee 23a. Er war unser direkter Vorgesetzter. Er führte uns zur
Räucherei. Dort arbeiteten einige deutsche Frauen: Die am meisten favorisierten
und wichtigen waren Struve, Weinhold und eine alte
Deutsche, Oma genannt, an ihren Namen kann ich mich nicht erinnern sowie zwei
junge Deutsche Frieda und Heni. Darüber hinaus
arbeiteten zwei Tschechinnen, Maria Hnilickova, etwa
40 Jahre alt sowie Francyna, die schwanger war.
In der Sortiererei stand eine
Stechuhr, an der wir unsere Arbeitskarten bei Beginn und am Ende der Arbeit bis
auf die Minute genau stempelten
Nachdem man uns den Arbeitsplatz
gezeigt hatte, begaben wir uns zum Büro, wo man uns registrierte, alle
Personaldaten einschrieb und uns Aufnäher- mit dem
Buchstaben „P“ gab. Das Zeichen „P“ war lila im gelben Quadrat. Das Quadrat war
auch lila umrandet. Von diesem Zeichen durften wir uns nicht trennen. Wir
durften auch nicht das Terrain der Kolonie verlassen.
Wir hatten unterschiedliche
Qualifikationen: ich hatte die erste Klasse des Lyzeums beendet, aber es fehlte
mir ein Jahr bis zum Abitur, Marta Uzarek, ebenfalls
aus Kalisz, hatte drei Klassen des Gymnasiums
besucht, Celinka Małolepsza
aus Turka war Schneiderin und Marysia
war Halbanalphabetin. Nachdem alles in die Personalbögen eingetragen war, gab
man uns die Arbeitsbücher, wo in der Rubrik Beruf „ungelernte Arbeiterin“
stand.
Wir machten alles. Vor allem
bereiteten wir Fische und Heringe zum Räuchern vor. Wir reinigten sie, fädelten
sie auf Drähte, die wir in quadratische Rahmen aufhängten. Diese Rahmen wurden
in den Öfen untergebracht, wo die Fische über dem Feuer räucherten. Die Rahmen
wogen teilweise bis zu 50 kg. Sie mussten einige Male im Ofen umgedreht werden,
damit die Fische auf allen Seiten räucherten. Für diese Arbeit hatten wir
besondere Kleidung. Wir hatten einen Sack umgebunden und an den Füßen trugen
wir Holzpantoffeln.
In der Räucherei war es sehr
kalt. Neben die Beine stellten wir alte Blechgefäße mit Feuerglut. Vor Kälte
erstarrten unsere Hände, weil wir ständig gefrorene Fische hielten, die wir
immer wieder in heißem Wasser auftauten. Deshalb hatten wir schon nach einigen
Tagen bis zu den Ellenbogen angefrorene Hände. Außer dieser einfachen Arbeit,
mitunter fehlte der Nachschub von Fischen, zersägten wir Holzklötze und
Baumstümpfe, und hackten sie mit der Axt zu Stücken zum Räuchern. Wenn mitunter
die Fische nicht am Tage, sondern in der Nacht geliefert wurden, mussten wir
wieder zur Arbeit, damit die Fische nicht verderben. Zeitweilig arbeiteten wir
bis zu 16 Stunden. Dann wurden die Karten nicht gestempelt.
Eines Tages lernten wir auch
unseren Chef, Herrn Wilhelm Lass kennen, der sich gewöhnlich mit einem
Spazierstock in seinem Garten erging. Der Chef schaute selten in die Räucherei
hinein. Mit der Arbeit hatte er nichts zu tun. Seine rechte Hand war Herr Leissner - der Herr über Leben und Tod aller Arbeiterinnen.
Er trug bei allen Feierlichkeiten die braune Uniform.
Lebend aus der Hölle
Eines Tages kamen wir früh aus
unserem Haus und erblickten ein komisches Gebilde hinter unserem Häuschen.
Neben den Gärten hatten die Deutschen irgendeinen großen Ballon installiert.
Wir erfuhren, dass es ein Ballon war, der die Anflüge der Flugzeuge der
Alliierten verhindern sollte.
Einige Tage später gab es nachts
den ersten Anflug. Ein schrecklicher Alarm der Sirenen. In jener Nacht umhüllte
der Rauch immer dichter Kiel, er biss in den Augen. Die Stadt ertrank im
dichten Rauch der Bombardierung, sehr vieler Flieger. Wir sahen in den Lichtern
der Reflektoren der deutschen Flugzeugabwehr, die Angreifenden und die sich vom
Rumpf lösenden Bombenketten hervorragend. Vom Boden flogen zu den Flugzeugen
aus allen Richtungen Geschosse der Abwehr. Es war schrecklich, aber gleichzeitig
ein prachtvoller Anblick. Über Kiel verstärkte sich von Minute zu Minute der
Feuerschein - es brannten die bombardierten Häuser und die Vorrichtungen und
Geräte des Hafens. Nach einer gewissen Zeit drehten die Flugzeuge ab. Der Rauch
begann dünner zu werden und die durchgehenden Sirenen heulten am Ende des
Alarms.
Die Deutschen brachten immer mehr
Russen zur Zwangsarbeit. Zu unserer „Fischerei“ kamen auch vier junge
Russinnen: Olla, Nadia, Wera und Natascha. Auch sie
trugen spezielle Kennzeichen, blaue Rechtecke mit blauen Buchstaben „Ost“. Es
waren liebe Mädchen, sie besuchten in ihrem Land ein Technikum. Sie sangen
wunderschön, vielstimmig. Die Russen wurden durch die Deutschen am meisten von
allen Ausländern traktiert, sie verloren nicht den Humor und den Glauben an
ihren Sieg.
Kontakt zur polnischen
Untergrundorganisation
Es begann das Jahr 1944. Immer
öfter gab es Fliegerangriffe. Das Hitlerradio, das ständig über die Siege des
Reiches berichtete, begann auch für die Deutschen lächerlich zu werden. Wir
fühlten ihre Beunruhigung. Die deutschen Frauen haben ihren Humor verloren.
Fische kamen immer seltener. Aufgrund des Fehlens der eigentlichen Arbeit,
hämmern wir Kisten zusammen. Aus Lübeck erreichte uns die Nachricht, dass dort
eine polnische Untergrundorganisation entstanden sei. Sie möchten uns in diese
Arbeit einbeziehen. Wir einigen uns auf eine Zusammenarbeit. Im September hat
die Geheime Vereinigung der Polen mit Volldampf gearbeitet. Der Vorstand
konzentrierte sich im Lager auf die Gefangenen des Warschauer Aufstandes.
Dieser Kontakt mit dem Untergrund machte uns Mut. Wir hatten ständig neue
Nachrichten, wir wussten, dass die Deutschen sich zurückziehen.
Aus dem
Sammelband: Z LITERA „P“, Polacy na robotach przymusowych w hitlerowskiej
Rzeszy 1939-1945, Wspomnienia
Poznañ 1976 (Der
Buchstabe „P“, Polen als Zwangsarbeiter in Hitlers Reich, 1939-1945, Erinnerungen,
Poznań 1976; Übersetzung: