Kühn, aber realisierbar
Der Rapacki-Plan
Von Daniela Fuchs
Der ehemalige polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczyński
gehörte zu den eifrigen Befürwortern der Stationierung eines Raketenabwehrschildes
der USA in seinem Land. Der neue Premier Donald Tusk
setzt auf eine härtere Verhandlungsstrategie gegenüber den USA. Ein
prinzipieller Kurswechsel wird jedoch nicht erwartet. Angesichts des Beginns
eines möglichen Rüstungswettlaufs sei an eine polnische Initiative erinnert,
die vor gut einem halben Jahrhundert mit einem kühnen Plan die Rüstungsspirale
des Kalten Krieges zurückdrehen wollte.
Am 2. Oktober 1957 überraschte
Polens Außenminister Adam Rapacki die XII.
UNO-Vollversammlung mit dem Vorschlag einer atomwaffenfreien Zone in
Mitteleuropa. Sein Plan enthielt die Forderung an beide deutschen Staaten,
Herstellung und Lagerung von Atomwaffen auf ihrem Territorium zu verbieten.
Sollten sie dazu bereit sein, würde Polen gleiches tun. Der aus der polnischen
Sozialdemokratie stammende Rapacki gehörte zum
Reformflügel der PVAP (Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei) und hatte sich
1956 für die Rückkehr des gestürzten Generalsekretärs der Polnischen
Arbeiterpartei, Władysław Gomułka, eingesetzt.
Marian Dobrosielski, ehemaliger Mitarbeiter Rapackis,
erinnert sich, dass man in Polen ab Mitte des Jahres 1956 nicht mehr die Auffassung
vertrat, Fragen der Abrüstung und der europäischen Sicherheit seien
ausschließlich Sache der Großmächte USA und Sowjetunion. Gomułka
und Rapacki waren überzeugt, dass es in der
internationalen Auseinandersetzung nicht darum gehen sollte, wer die bessere Gesellschaftsordnung
vorweisen könne, sondern darum, wie man trotz unterschiedlicher Systeme
miteinander in Frieden leben könne. Für Rapackis
Vorstoß gab es auch noch einen anderen Grund. Gomu³ka, so berichtet sein
politischer Ziehsohn, der Publizist und spätere Ministerpräsident, Mieczys³aw
Rakowski, ging davon aus, dass sich die beiden deutschen Staaten irgendwann
wieder vereinigen werden. Einen möglichen Abzug der sowjetischen Truppen aus
der DDR (Deutsche Demokratische Republik) schloss er nicht aus. Er fürchtete nur,
dies könnte vor einer internationalen und gesamtdeutschen Anerkennung der
Oder-Neiße-Grenze geschehen. Zur
Sicherung der polnischen Westgrenze war eine Atmosphäre der Entspannung und
Abrüstung nötig.
Rapackis
Plan enthielt keine Vorbedingungen, die Mitgliedschaft im Warschauer Pakt und
in der NATO blieben unberührt. Er wäre realisierbar gewesen.
Im April 1958 reiste der
unabhängige Sejmabgeordnete und liberale Katholik, Professor Stanisław Stomma, nach Bonn und traf sich mit dem Bundesaußenminister
Heinrich von Brentano in dessen Privat-Villa, um u. a. für den Rapacki-Plan zu werben. Für Brentano war der Plan jedoch
nicht akzeptabel, würde er doch seiner Meinung nach die Bande zwischen der
Bundesrepublik und dem Westen lockern. Ein Befürworter des Plans war hingegen
Gustav Heinemann. Am 23. Januar 1958 erhob er in einer Bundestagsdebatte
schwere Vorwürfe gegen Bundeskanzler Adenauer, warf ihm vor, eine verfehlte
Außenpolitik zu betreiben Den Rapacki-Plan
bezeichnete er als Einstiegsmöglichkeit für Ost-West-Gespräche.
Doch die Chance, die Fronten des Kalten Krieges durch eine aktive Entspannungspolitik zu durchbrechen, wurden damals noch vertan. Zum Scheitern des Plans trug nicht nur das „Nein“ der BRD und der Westmächte, sondern auch die Inkonsequenz des Ostens bei. Die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) setzte sich offiziell für den Rapacki-Plan ein, nutzte ihn jedoch für ihre eigene Deutschlandkonzeption und zwängte die zentraleuropäisch angelegte Initiative in das Korsett des Kalten Krieges. Dennoch wurde die Idee Gomułkas und Rapackis in den folgenden Jahren immer wieder von Politikern in Ost und West aufgegriffen. Nach 50 Jahren allerdings ist Adam Rapacki, wie Marian Dobrosielski bedauernd vermerkt, sogar in Polen und auch von der Linken nahezu vergessen.