Fortbestehender Fortbestand oder die
Grenze der Demokratie
Petitionsausschuss des Bundestages weist
Appell der Gesellschaft ab
Von
Deutsche Demokratie. In einer parlamentarischen Demokratie hat das
Parlament nicht an letzter Stelle die Aufgabe der Kontrolle der Exekutive. Die
Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik richtete Ende 2006 einen
erneuten Appel an den Deutschen Bundestag, in dem sie
das Parlament dazu aufforderte, die vom Bundesverfassungsgericht zu geltendem
Recht erhobene Deutschlanddoktrin vom Fortbestand des Deutschen Reiches über
den 8. Mai 1945 für obsolet zu erklären und darauf gegründetes Regierungshandeln
zu korrigieren.
Der Appell der Gesellschaft mutet
dem Parlament eigenes Nachdenken, eigene Reflexion der deutschen
Nachkriegsgeschichte und der in die Vorgeschichte des Weststaates
zurückreichenden rechtlichen Unterlegung ihrer politischen Gestaltung durch die
Bundesrepublik und eigenes Erwägen einer möglichen Alternative, d.h. die
Wahrnehmung seiner ureigenen Aufgabe am konkreten Beispiel zu. Gefragt war der
freie und nach grundgesetzlicher Bestimmung allein seinem Gewissen
verpflichtete Parlamentarier. Geantwortet hat der freiheitliche, sein Gewissen
einer um erlaubtes Dürfen besorgten Prüfung unterziehende Parlamentarier, der
die Zumutung als solche empfand. In Stunden der Bedrängnis richtet sich sein
Blick nach oben, von wo ihm einst ein mehr oder minder huldvoller Monarch die
Schranken wies. In der Republik muss der Monarch den Posten räumen, doch blieb
die Stelle in den deutschen Gebilden des Typs nicht unbesetzt, sodass dem
Parlamentarier die Versuchung einer Verhaltensänderung
erspart blieb. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, der als
Torwächter über den Einlass von Eingaben aus dem außerparlamentarischen Bereich
befindet, gründet seinen Bescheid auf eine vorsorglich eingeholte Stellungnahme
des Auswärtigen Amtes, dessen politisches Handeln Gegenstand des Appells war.
Parlamentarische Demokratie? Obrigkeitsuntertänige, d.h. verfehlte Demokratie.
Die Antwort des
Petitionsausschusses, die dem Bundestag die Beendigung des Petitionsverfahrens
empfiehlt, macht sich die Ausführungen der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes,
die der Gesellschaft seit mehr als drei Jahren durch eigenes Denken
delegierende Persönlichkeiten aus dem parlamentarischen Bereich wieder und
wieder vorgehalten wird und ihr daher bestens bekannt ist, in vollem Umfang
zueigen. Sie stellt fest, dass bezüglich der Aufforderung, die
Deutschlanddoktrin vom Fortbestand des Reiches für nicht länger gültig zu
erklären, auf Seiten der Gesellschaft insofern ein Missverständnis obwalte, als
„Staats- und Völkerrechtswissenschaft und Rechtsprechung deutscher und
ausländischer Gerichte stets daran festgehalten“ hätten, „dass Deutschland als
Staat den Zusammenbruch nach 1945 überdauert hat und als Völkerrechtssubjekt
fortbesteht. Vor allem die Praxis der meisten Staaten einschließlich der
Hauptsiegermächte, die die Verantwortung für ,Deutschland
als Ganzes' übernahmen“, habe "auf dem Boden dieser Rechtslage"
gestanden. Zunächst ist zu konstatieren, dass der Petitionsausschuss
ausdrücklich die Auffassung vom Fortbestand des Reiches für die Gegenwart
bekräftigt. Darüberhinaus aber ist nachgerade zu
hoffen, dass seine Ausführungen nicht auf blanker Unkenntnis, sondern auf
berechnetem Kalkül, vulgo: bewusster Lüge, beruhen.
Die auswärtige Rechtswissenschaft und Rechtsprechung ist aus unterschiedlichen
Gründen in der Frage uneinheitlich, in der bundesdeutschen Rechtswissenschaft
ist der gegenteilige Standpunkt bis auf den heutigen Tag präsent, und auf dem
Felde der Rechtsprechung hat beispielsweise das Bundesverfassungsgericht Mühe,
ein erstes abweichendes Urteil in die später gewünschten Bahnen umzuleiten.
Eklatanter noch ist die Unwahrheit im Falle der „Hauptsiegermächte“, für die
sich der Bescheid bezeichnenderweise auf „[v]or allem
die Praxis“ zurückzieht. Von ihnen hat Frankreich stets unbeirrt und offen, die
Sowjetunion ebenso unbeirrt, doch mit dosierterer
Offenheit die Auffassung vom Untergang des Reiches am 8.5. bzw. 5.6. 1945
vertreten, während die angelsächsischen Verbündeten ihre nicht minder
eindeutige Haltung zwar den „Erfordernissen“ des Kalten Krieges angeschmiegt,
der auf der Fortbestandsthese aufsitzenden These der Identität der
Bundesrepublik mit dem fortbestehenden Reich jedoch zu wiederholten Malen eine
klare Abfuhr erteilt haben. Endlich stellt die auf nationalsozialistischem
Boden erwachsene und von nationalsozialistischem und deutschnationalem Geist in
die Fundamente bundesdeutschen Selbstverständnisses gegossene Fortbestandsthese
keine „Rechtslage“, sondern lediglich einen Rechtsstandpunkt dar, der vor einem
internationalen völkerrechtlichen Gremium keinen Bestand hätte und alle
Berufung auf rechtliche Hindernisse einer Änderung des gewählten politischen
Weges zur Berufung auf selbstgeschaffene Fesseln
macht.
Das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 31.7.1973, stellt den Fortbestand des Deutschen
Reiches in nicht näher bestimmten Grenzen über den 8.5.1945 und die (räumlich
teilidentische) Identität der Bundesrepublik mit dem Reiche fest, dessen
umständehalber ruhender Handlungsfähigkeit kein Staatsorgan der Bundesrepublik
vorzugreifen berechtigt ist. Es verbietet somit, Verfügungen über Belange des
Reiches, darunter Teile des Reichsgebietes, zu treffen und stellt jeden von der
Bundesrepublik abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrag unter den Vorbehalt
seiner Revision durch das Reich, sollte dieses zu eigener Handlungsfähigkeit
zurückfinden. Aufgrund der fortgeschriebenen Identität der nachvereinigten
mit der vorvereinigten Bundesrepublik sind Urteil und
Urteilsbegründung bis auf den heutigen Tag geltendes und alle Verfassungsorgane
der Bundesrepublik bindendes Recht. Sie verbieten dem vereinten Deutschland den
Abschluss eines Grenzvertrags mit Polen, der eine Verfügung über Reichsgebiet
trifft. Folgerichtig hat sich das vereinte Deutschland der ihm durch die
Abschließende Regelung* auferlegten
Pflicht, die Endgültigkeit seiner Grenze gegenüber Polen anzuerkennen,
entzogen. Anstelle eines Anerkennungsvertrages hat es nach dem Vorgang des
Warschauer Vertrages von 1970 einen Gewaltverzichtsvertrag abgeschlossen, der
allein die Faktizität der bestehenden Grenze „bestätigt“ und unter den gleichen
Vorbehalten steht.
Die Antwort des
Petitionsausschusses hält dem entgegen, dass die Deutschen mit der
„Wiedervereinigung“ die „Einheit und Freiheit Deutschlands“ vollendet haben.
Tatsächlich liegt hier ein eklatanter Widerspruch vor. Die in der unwiderrufen fortgeltenden Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts
fest- und im deutsch-polnischen Grenzvertrag vom 14. 11.1990 fortgeschriebenen
Vorbehalte gegen eine Anerkennung der Unantastbarkeit der bestehenden
polnischen Westgrenze sind mit der Unterschrift unter die Abschließende
Regelung nicht zu vereinbaren.
Der Appell der Deutsch-Polnischen
Gesellschaft hat das Ziel, diesen Widerspruch zu beseitigen, indem er den nach
der Verfassung zuständigen Souverän auffordert, die Anerkennung der
Endgültigkeit der Grenzen des vereinigten Deutschland aus den Fiktionen und
Restriktionen der Rechtssprechung des parlamentarischer Kontrolle enthobenen
Verfassungsgerichts zu befreien und zu erklären, dass die Deutschlanddoktrin
vom Fortbestand des Deutschen Reiches über den 8. Mai 1945 hinaus samt
sämtlichen daran geknüpften rechtlichen und politischen Folgerungen nicht
länger die Grundlage für die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Polen bilden. Logische Folgerung einer solchen
Entschließung, die die bundesdeutsche Politik von dem Verdacht der
Unehrlichkeit, des Hintergehens der Vier Mächte und der Spekulation auf die
„historische Chance“ einer Veränderung der widerstrebend hingenommenen
Gegebenheiten zu befreien vermöchte, ist der Nachvollzug der Anerkennung der
polnischen Westgrenze und der Verzicht auf alle die Hoheit des polnischen
Staates über seine Staatsbürger tangierenden grenzüberschreitenden Rechtsakte.
Der Hinweis des Petitionsausschusses auf die Zulässigkeit grenzüberschreitenden
Steuer- oder Strafrechts ist, wiederum hoffentlich, bewusste Augenwischerei,
denn auch dem unbedarftesten Ausschussmitglied, sollte es ein solches geben,
dürfte gegenwärtig sein, dass sich die diesbezügliche Forderung des Appells auf
die aus den beibehaltenen Art. 16 und 116 des Grundgesetzes abgeleitete und die
polnische Personalhoheit verletzende Art der Betreuung der durch den Nachbarschaftvertrag vom 17.6.1991 ins völkerrechtliche
Leben gerufenen deutschen Minderheit in Polen bezieht.
Das Schiff der proklamierten
grundlegenden Neubestimmung deutsch-polnischer Nachbarschaft, das sich, mit den
Lampions einer vermeintlichen deutsch-polnischen Interessengemeinschaft
geschmückt und von den subsolanen Winden einer
schwierigen polnisch-russischen Vergangenheit getrieben, auf raschem Kurs in
offenes Fahrwasser wähnte, sieht sich unversehens durch submarine Widerstände
auf der angestammten Stelle festgehalten. Es flottzumachen,
bedarf es unverändert der Beseitigung der Klippen, die bundesdeutsche
Verweigerung der vorbehaltlosen Anerkennung der aus der Niederlage des Dritten
Reiches resultierenden Gegebenheiten einer Normalisierung der
deutsch-polnischen Beziehungen entgegensetzt. Die Deutsch-Polnische
Gesellschaft der Bundesrepublik wird sich weiterhin unbeirrt für ihre
Überwindung einsetzen. Ihr Einsatz ist Teil des Bemühens um die Verwirklichung
einer Deutschen Republik, die den Namen verdient und, mit sich selbst im Einklang,
zu allseitig guter Nachbarschaft imstande ist.
Deutscher Bundestag
Petitionsausschuss
Die Vorsitzende
Pet 3-16-05-06-015436
28.01.2008
(...) Der Petitionsausschuss hat
zu dem Anliegen der Petentin eine Stellungnahme des
Auswärtigen Amtes (AA) eingeholt. Unter Einbeziehung der Ausführungen des AA
lässt sich das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung wie folgt zusammenfassen:
Der Aufforderung, nach der der
Deutsche Bundestag feststellen solle, dass die so genannte Doktrin vom
„Fortbestand des Deutschen Reiches über den B. Mai 1945 hinaus obsolet“ sei,
liegt offenbar ein Missverständnis zugrunde. Staats- und
Völkerrechtswissenschaft und Rechtsprechung deutscher und ausländischer
Gerichte haben stets daran festgehalten, dass Deutschland als Staat den
Zusammenbruch nach 1945 überdauert hat und als Völkerrechtsubjekt fortbesteht.
Vor allem die Praxis der meisten Staaten einschließlich der Hauptsiegermächte,
die die Verantwortung für „Deutschland als Ganzes“ übernahmen, stand auf dem
Boden dieser Rechtslage.
Mit der Wiedervereinigung haben
die Deutschen „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands
vollendet“ (so die durch den Einigungsvertrag vom 31. August 1990 geänderte
Präambel des Grundgesetzes). Entsprechend wurde der damalige Artikel 23
Grundgesetz, der die verfassungsrechtliche Grundlage für den Beitritt der
Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes
bildete, aufgehoben.
Der Petitionsausschuss stellt
fest, dass es zwischen Deutschland und Polen seit dem Inkrafttreten des
Vertrages Ober die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vorn 12.
September 1990, in Kraft seit dem 15. März 1991, und des Vertrages über die
Bestätigung der Grenze vorn 14. November 1990, in Kraft seit dem 16. Januar
1992, eine völkerrechtlich eindeutige territoriale Situation gibt. Sie war
durch den Warschauer Vertrag von 1970 vorbereitet worden, In Artikel 1 Absatz 2
des „Zwei-plus-Vier-Vertrages“ wurde ferner bestimmt,
dass das vereinigte Deutschband und die Republik Polen die zwischen ihnen
bestehende Grenze in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag bestätigen.
Dies ist durch den bereits genannten Grenzbestätigungsvertrag vom 14, November
1990 erfolgt. Beiden Verträgen, dem „Zwei-plus-Vier-Vertrag“
und dem Grenzbestätigungsvertrag, hat der Deutsche Bundestag gemäß Artikel 59
Absatz 2 Grundgesetz zugestimmt. Darüber hinaus normiert Artikel 1 Absatz 3 des
„Zwei-plus-Vier-Vertrages“, dass das vereinte
Deutschland keinerlei Gebietsansprüche gegen andere Staaten hat und solche auch
nicht in Zukunft erheben wird.
Der Ausschuss kommt daher zu dem
Ergebnis, dass es einer erneuten „Feststellung“ durch den Deutschen Bundestag
über den endgültigen Charakter der Grenze zwischen Deutschland und Polen
insoweit nicht bedarf.
Soweit in dem Anliegen der
Petition auf die Festlegung der deutsch-polnischen Grenze „auf der Berliner
Konferenz der Siegermächte 1945“ abgestellt wird, ist darauf hinzuweisen, dass
es in der Frage des Rechtsgrundes und des Zeitpunktes des Gebietserwerbs der
ehemals deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie einen bekannten Dissens
gibt.
Während nach polnischer
Auffassung bereits auf der Potsdamer Konferenz 1945 verbindlich über die
Oder-Neiße-Gebiete zugunsten Polens verfügt wurde, ist nach Auffassung der
Bundesregierung „die bestehende Grenze das Ergebnis eines sich über vier
Jahrzehnte erstreckenden Prozesses, der mit dem Vertrag über die abschließende
Regelung in Bezug auf Deutschland seinen Abschluss gefunden hat“.
Da aber die Potsdamer Beschlüsse
insgesamt ein abgeschlossenes historisches Kapitel bilden und in der Grenzfrage
eine eindeutige völkerrechtliche Situation besteht, besteht kein Anlass, diese
Streitfrage - auch nur mittelbar aufzugreifen.
Der Ausschuss weist darauf hin,
dass die Gesetzgebung, die Rechtsprechung und die Verwaltung eines Staates
grundsätzlich auf das staatliche Hoheitsgebiet beschränkt sind. Allerdings
lässt es das Völkerrecht zu, dass Staaten ihre Gesetze und Gerichtsbarkeit auf
Personen, Vermögen und Handlungen außerhalb ihrer Grenzen ausdehnen, wenn ein
ausreichender Bezug zu ihrer territorialen oder personalen Hoheitsphäre
besteht.
Dies gilt beispielsweise für das
Steuerrecht oder das Strafrecht. Insofern entspricht das Anliegen der Petentin nicht dem Völkerrecht, das bei Vorliegen einer
ausreichenden Verknüpfung von der Zulässigkeit von Hoheitsakten mit
Auslandswirkung ausgeht.
Der Petitionsausschuss kann das Anliegen der Petentin daher nicht unterstützen und empfiehlt, das Petitionsverfahren abzuschließen. (...)