Betr.: Artikel „Polen und die Stadt Darmstadt“ von Udo Kühn,

POLEN und wir 2/2008, S. 25-27

Im Abschnitt „Politische Schritte einer Annäherung“ (S.26) wird als bahnbrechend für eine Annäherung zwischen Deutschland und Polen das Memorandum des Bensberger Kreises von 1968 angeführt, das für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze eintrat. Über die Rolle der Evangelischen Kirche heißt es lapidar: Ähnlich engagierten sich auch Teile der Evangelischen Kirche in Deutschland schon früh für eine Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen. Diese Darstellung wird dem historischen Sachverhalt nicht gerecht. Denn schon 1965 erschien die Denkschrift der EKD: „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“, herausgegeben von der Kammer für öffentliche Verantwortung. In diesem offiziellen Dokument der Evangelischen Kirche wurde zum ersten Mal unmissverständlich ausgesprochen, dass an der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze kein Weg vorbeiführen würde. Es waren also nicht „Teile der Evangelischen Kirche“, sondern die Evangelische Kirche hat sich als Ganzes für eine Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und eine Verständigung mit Polen ausgesprochen, und das drei Jahre vor dem Bensberger Kreis. Der Bensberger Kreis bezieht sich im Vorwort zu  seinem Memorandum sogar ausdrücklich auf diese Denkschrift.

Wolfgang Stihler, 76467 Bietigheim

 

Einige kritische Gedanken zu Herrn Leidingers

Artikel „Ein sichtbares Zeichen“ in POLEN und wir 2/2008, S. 11

Wenn die Vertreibung als Voraussetzung für die Rückkehr des Rechts in eine Welt des Unrechts angesehen wird, stellt sich die Frage, welches Rechtsverständnis einer derartigen Behauptung zugrunde liegt. Schließlich haben die Alliierten damals eindeutig einen gegen das Völkerrecht verstoßenden Beschluss gefasst, - denn der Beschluss, eine ganze Bevölkerung zu vertreiben, ist unbestreitbar ein solcher Verstoß. Daran ändert auch nichts, dass Polen eine so große Anzahl Deutscher in seinem Staatsgebiet nicht verkraftet hätte. Insofern ist für mich nicht nachvollziehbar, inwiefern durch die Vertreibung das Recht in eine Welt des Unrechts zurückgekehrt sein soll. Sind Verstöße der Alliierten gegen das Völkerrecht als die Rückkehr des Rechts anzusehen, weil sie die Sieger waren? Oder sind diese Verstöße keine Verstöße mehr, wenn man sie mit den unsäglichen Gräueltaten ihrer besiegten Gegner vergleicht? Oder ging es in Jalta und Potsdam möglicherweise um nichts anderes als den altrömischen Grundsatz „Wehe den Besiegten“? Solche Fragen müsste man eigentlich stellen dürfen, ohne damit angeblich Polen automatisch die Existenzberechtigung abzusprechen. 

Weitaus mehr würde mir die Argumentation einleuchten, dass derjenige, der im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen werfen sollte, d.h., dass die Deutschen nach all den Verbrechen, die in der Zeit der Hitler-Diktatur im Namen Deutschlands an anderen Völkern und besonders an den Polen verübt worden sind, am allerwenigsten Anlass haben, eine fehlende völkerrechtliche Legitimation der damaligen alliierten Beschlüsse zu beklagen. Doch diese Argumentation wird, wenn ich richtig verstanden habe, ausdrücklich abgelehnt zugunsten der Behauptung einer Legitimität der damaligen, immerhin völkerrechtswidrigen Vertreibungsbeschlüsse.

Vor 43 Jahren, im Jahr 1965, hat die Denkschrift der Evangelischen Kirche „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ den ganzen mit dem deutsch-polnischen Verhältnis zusammenhängenden Fragenkomplex äußerst gründlich analysiert und die deutsche Schuld, die zum Verlust der Ostgebiete geführt hat, weder beschönigt noch verschwiegen. Zwei Passagen daraus erlaube ich mir, hier wörtlich zu zitieren, denn schon damals war klar, dass ein wie immer begründeter Rechtsstandpunkt zu keiner Lösung der Probleme führt:

Es ergibt sich, „Die rechtlichen Positionen begrenzen sich gegenseitig: Recht steht gegen Recht oder - noch deutlicher - Unrecht gegen Unrecht. In solcher Lage wird das Beharren auf gegensätzliche Rechtsbehauptungen (...) unfruchtbar, ja zu einer Gefahr für den Frieden zwischen beiden Völkern. Auf dieser Ebene ist der Konflikt nicht zu lösen. Daher gilt es, einen Ausgleich zu suchen, der eine neue Ordnung zwischen Deutschen und Polen herstellt. Damit wird nicht gerechtfertigt, was in der Vergangenheit geschehen ist, aber das friedliche Zusammenleben beider Völker für die Zukunft ermöglicht“ (Amtsblatt der EKD, Hannover 1965, S.29-30). 

Und als Abschluss der Denkschrift: „Das setzt gewiss voraus, dass auch bei diesen Völkern der Wille zur Versöhnung besteht oder geweckt werden kann. Sie müssen sich also die kritische Frage gefallen lassen, ob sie in ihrer so oft zur Schau getragenen Selbstgerechtigkeit gegenüber Deutschland verharren wollen. Aber das Gespräch  darüber kann erst in Gang kommen, wenn das deutsche Volk zu erkennen gegeben hat, dass es seinerseits der Versuchung widerstehen will, sich in Selbstgerechtigkeit zu verhärten“ (ebenda S.44).  

Ich wüsste nicht, wie man die Sachlage heute besser und zutreffender beschreiben könnte, und diese Aussagen waren es auch, die mein jahrzehntelanges Engagement für deutsch-polnische Aussöhnung und Verständigung begründet haben.

Wolfgang Stihler, 76467 Bietigheim