Das Abkommen
zum Raketenschutzschild zwischen Polen und den USA
In der letzten Ausgabe von POLEN und wir stellten wir die Haltung der
polnischen Bevölkerung zum geplanten amerikanischen Raketenschutzschild in
Polen dar. Ob es zum Abschluss eines Abkommens kommen werde, war damals noch
sehr unsicher. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Der Georgienkonflikt
Mitte August schuf eine neue Situation, die es der polnischen Regierung
ermöglichte, nunmehr - wie Umfragen zeigten - mit der Unterstützung der Mehrheit
der Bevölkerung einem Abkommen zuzustimmen. Der Abschluss fand nach
Redaktionsschluss dieser Ausgabe unserer Zeitschrift statt. Trotzdem bringen
wir in Form einer kleinen Dokumentation ein Stimmungsbild verschiedener politischer Lager in Polen zu dieser
Situation.
Das Interesse
Polens siegte
(Ein Kommentar in der konservativen Rzeczpospolita
von Paweł Lisicki, 20.8.2008)
Noch vor wenigen Wochen schien es
so, dass die Verhandlungen um den amerikanischen Antiraketenschild in einem
Fiasko endeten und dass man zu keiner Abmachung kommt. Es geschah jedoch
anders.
(...) Ohne Berücksichtigung
dessen, welche starken Worte die Russen gebrauchen, ist eines sicher: nach dem
Rückzug der sowjetischen Streitkräfte aus Polen, nach dem Beitritt Polens in
die NATO ist die Entscheidung zum Bau des Schildes der nächste Beweis für die
Eigenständigkeit und Souveränität unseres Landes. Uns liegt nichts an einer
Isolation.
Es gibt heute keine andere Welt
als die globale und der Glaube, dass sich Polen in einer sicheren Nische
schützen oder dass man ohne starke Verbündete den heiligen Frieden sichern
könnte, ist mindestens naiv. Das Abkommen mit den USA bedeutet, dass jeder
Angriff auf Polen, jeder Versuch seine Unabhängigkeit einzuschränken immer auch
mittelbar einen Angriff auf die USA bedeutet. Die Amerikaner sind Partner, die
die demokratischen Werte ernst nehmen und die, wie sie oftmals bewiesen,
erfolgreich ihre Verbündeten verteidigen und unterstützen.
Polen nimmt damit auch eine
stärkere Position in der Europäischen Union ein. Und man darf sich nicht durch
die Kommentare in der westlichen Presse beirren lassen, die das (..) Abkommen kritisieren. Einige alte Länder der Union haben
sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass Polen eine eigenständige Rolle
spielt. Es ist kein armer, schwacher Verwandter mehr, den man gnädig an den
gemeinsamen Tisch lässt. Es ist im Gegenteil ein Land, das sich um seine
Interessen kümmert und mit dem man rechnen muss. (...) Und wie würden wir den
Vertrag bewerten, wenn nicht plötzlich der russisch-georgische Konflikt
aufgekommen wäre, der an die Bedrohung durch den Osten erinnerte?
Zwischen
Machtansprüchen und Vasallentum
(Ein Kommentar in der liberalen Gazeta Wyborcza von Jacek Pawlicki,
19.8.2008)
Unter den
Mitte-Rechts-Regierungen sucht Polen für sich einen Platz in der Welt. Es will
nicht Vasall sein, weiß aber auch, dass es nie eine Großmacht wird. Und nur ein
regionaler Leader zu sein, ist für sie erklärtermaßen zu wenig. Deshalb legte
Premier Kaczyński gegen den Partnerschaftsvertrag von Union und Russland
sein Veto ein und stritt wie ein Berserker um das Wurzelsystem bei Abstimmungen
[in der EU - d. Übers.]. Deshalb führte auch Donald Tusk
von der PO einen ungleichen aber letztlich siegreichen Ringkampf mit den USA um
eine Patriot-Batterie. Die Fahrt des polnischen
Präsidenten Lech Kaczyński nach Tbilissi mitten
im Konflikt zwischen Georgien und Russland war auch ein Element desselben
Spiels um den Platz Polens. Der Wille, sich im Ringkampf mit der Welt zu
beweisen, ist für die polnische Außenpolitik das verbindende Element bei allen
Ereignissen der letzten Zeit. (...)
Die Regierung Tusk
lehnte die Ellenbogenstrategie in Europa wie auch die Beleidigung seiner
Partner ab. Es kehrte Normalität ein und die Fähigkeit, Bündnisse zu schmieden,
zeigte gute Ergebnisse. Der polnische Plan zur Stärkung der Zusammenarbeit von
EU und dem Osten, die Östliche Partnerschaft, fand Akzeptanz
. (…)
Wenn man aufmerksam zuhörte, was Tusk und der Verteidigungsminister Radosław Sikorski über die Verhandlungen zum Antiraketenschild
sagten, wusste man, das Polen sich nicht aus „medialen Gründen“ (was ihr PiS vorwarf) Washington widersetzte, sondern um seine
Position gegenüber Amerika zu verändern. Das war ein risikoreiches Spiel, da
die USA eine globale Macht sind und in der Regel die Amerikaner ihre
Bedingungen der Welt und den Verbündeten diktieren und nicht umgekehrt.
Die Regierung war sich dessen
bewusst, dass Polen weder heute der wichtigste Verbündete Washingtons ist noch
es in Zukunft sein wird. (…) Es gibt viele Staaten, die ähnlich wie Polen um
besondere Berücksichtigung durch Amerika bemüht sind. Aber bei uns wollten die
Amerikaner die Antiraketenrampen bauen und Tusk
nutzte zusammen mit Sikorski den Moment aus, um die
Durchsetzungskraft Amerikas und dabei gleichzeitig seine eigene zu prüfen. Im
Unterschied zu Jarosław Kaczyński glaubte Tusk
nicht an ein uneigennütziges (von Seiten Amerikas) Bündnis mit Amerika.
Olejniczak: Der Schild hat für Polen
keinerlei Nutzen
(Erklärung der sozialdemokratischen SLD vom 20.8.2008, www.sld.org.pl)
(…) „Ich meine nicht, dass sich
der Schild in irgendeiner Weise positiv auf unsere Zukunft und unsere
Sicherheit auswirkt“, sagte Wojciech Olejniczak, der
Vorsitzende der Fraktion „Linke“ auf der Pressekonferenz im Sejm. “Der Schild
wird einzig das Territorium der Vereinigten Staaten schützen“, fügte er hinzu.
„Polen stellt sich heute in der Welt als ein Land dar, das nicht nur einzig und
allein Bündnispartner der Vereinigten Staaten ist, sondern auch als ein Land
für potentielle (…) Angriffe. Das ist eine negative Entscheidung und wir sind
mit ihr nicht einverstanden.“, unterstrich er. „Indem sie den jetzigen Vertrag
unterschreiben, ziehen die Politiker der Rechten zusätzliche Bedrohung auf
unser Land“, fügte Olejniczak hinzu. Seiner Meinung
nach muss Polen in Folge des Vertragsabschlusses und der daraus entstehenden
Notwendigkeit, seine Sicherheit zu erhöhen, große finanzielle Anstrengungen
unternehmen und dutzende Milliarden Z³oty für ein Dutzend oder mehrere Dutzend
Raketenbatterien „Patriot“ ausgeben. Wie Olejniczak
unterstrich, werden Nutznießer des Vertrages die die Raketen produzierenden
amerikanischen Konzerne sein, und für diesen kostenintensiven Kauf werden die
polnischen Steuerzahler bezahlen. Der Leiter der Fraktion „Linke“ sagte, dass
sich der Abschluss des Abkommens mit den Vereinigten Staaten ebenfalls negativ
auf die Beziehungen zwischen Polen und Russland auswirken wird.
Wie geht man
mit diesem Russland um?
(Marek Ostrowski in der linksliberalen Wochenzeitschrift Polityka)
Leider hat das Problem Russland
in Polen eine bedeutende innenpolitische (wie auch historische und emotionale)
Komponente und jedes Mal, wenn man mit oder gegen Russland Politik machen muss,
kommt es zu einem Wettbewerb unter den Politikern, die Pragmatismus und
Realpolitik [im Original Deutsch - w.s.] wie das
Feuer fürchten. So meint man in falscher und kindischer Art, dass sich ein
Patriotismus in deutlichen, „mutigen und kompromisslosen“ Erklärungen gegen
Russland zeigt, und nicht darin, welchen Gewinn Polen und die polnischen
Menschen durch die Außenpolitik in Wirklichkeit haben.
Man kann sich in der jetzigen
Situation über den amerikanischen Antiraketenschild nicht freuen. (…) Es ist
auch schlecht, dass der Schirm in Polen nicht als ein Projekt der NATO
entstanden ist, sondern nicht zuletzt als Reaktion auf das Drama in Georgien.
Wie uns unser Korrespondent in Washington Tomasz Zalewski signalisiert, wird der Schild dort - in der
aktuellen Situation - ausdrücklich als eines der Sanktionselemente gegen
Russland behandelt.
(Marek Ostrowski, Co z tą Rosją, Polityka Nr.
34 v. 23.8.2008, S. 14)
Aus der katholischen liberal-konservativen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny:
Der Schild und
Georgien
(Ein Kommentar von Olaf Osica)
Die polnisch-amerikanischen
Verhandlungen über die Stationierung des Antiraketenschildes sind beendet
worden. (…) Die wichtigste Frage heute betrifft die Bedeutung des
Georgienkonfliktes für die Annäherung der Standpunkte zwischen Warschau und
Washington. Gelang es, die amerikanische Administration davon zu überzeugen,
dass die Missachtung unserer Ängste gleichbedeutend mit einem Prestige- und
Bedeutungsverlust in Polen ist, und, wie das Kabinett von Premier Tusk anmerkte, dass in der jetzigen Situation eine weitere
Verzögerung bei den Gesprächen risikoreich sei? Eine Antwort auf diese Frage
wird in der Perspektive der kommenden Jahre entweder zu einer neuen Offenheit
in den polnisch-amerikanischen Beziehungen führen und de facto - auf
militärischem Gebiet - zu einer Änderung des nordatlantischen Bündnis in ein
zweiseitiges Bündnis zwischen Warschau und Washington führen, oder zu einem
nächsten Missverständnis, dessen Konsequenzen heute schwer vorauszusehen sind.
Für die Sicherheit Polens wäre es daher am Besten, wenn der Zusammenhang mit
Georgien keine größere Bedeutung hätte und nur ein höchstens den Ablauf
begünstigender Umstand wäre.
Nach dem Auftritt des Präsidenten
auf der Kundgebung in Tbilissi, auf dem Hintergrund
der Feierlichkeiten zum Tag der polnischen Armee sowie der zu schnell
formulierten Bewertung dessen, was die russische Intervention für die
Sicherheit in Europa bedeutet, kehrt in Polen wieder das Klima eines
Frontstaates zurück. Wenn jedoch wieder das „Septembersyndrom und Jalta“ zum
Maßstab unserer Strategie in der Außenpolitik werden, so befürchte ich, dass
der Schild statt Wendepunkt zu sein, nur ihre Schwächen vertieft. Das
historische Denken würde weiterhin ein politisches Denken überlagern.
Olaf Osica, Tarcza a sprawa Gruzji, Tygodnik Powszechny, Nr. 34 v.
24.8.2008, S. 9
Zwischen
Schild und Russland
(Der englische Historiker Norman Davis)
Im Kalten Krieg war das
Gleichgewicht in der Welt durch (…) die Garantie auf gegenseitige Zerstörung
gesichert. (…) Dieses Horrorgleichgewicht bewahrte einige Jahrzehnte lang den
Frieden zwischen den Mächten. Dank dessen wandelte sich der kalte nicht in einen
heißen Krieg. Erst Ronald Reagan drohte den Russen, dass er eine neue
Antiraketenabwehr vorbereitet, die das Gleichgewicht verletzt. (…) Eine neue
Etappe begann (…), als in Amerika die Neokonservativen an die Macht kamen, die
Equipe von George Bush. Vielleicht habe ich einige Texte verpasst, aber ich
habe nirgendwo in Polen eine sachliche Analyse über die Ideologie dieser Gruppe
gelesen, insbesondere über deren Kriegsdoktrin. Sie besagt, dass das
militärische Übergewicht gegenüber Feinden, selbst wenn sie nur mögliche Feinde
sein werden, die die dominierende Position der USA in der Welt des XXI.
Jahrhunderts bedrohen könnten, ausgenutzt werden muss. (…) Der Antiraketenschutzschild
ist Teil dieser amerikanischen strategischen Offensive. (..) Die Polen reagieren
äußerst - und das berechtigt - empfindlich gegenüber dem russischen Imperialismus,
aber sie sind blind gegenüber dem amerikanischen Imperialismus. Der Schild soll
Amerika gegen Interkontinentalraketen schützen. Die Länder des Nahen Ostens wie
Syrien oder der Iran, die die Staaten damit bedrohen könnten, besitzen diese
gar nicht in ihren Lagern. Dagegen besitzt Russland solche und nur gegen sie
kann der Schild gerichtet sein. Moskau, mit deren Politik ich nicht
sympathisiere, hat Grund, sich bedroht zu fühlen. (…)
Norman Davis, Między tarczą i Rosją,
Tygodnik Powszechny, Nr. 34 v. 24.8.2008, S. 15
(Zusammenstellung
und Übersetzungen: Wulf Schade, Bochum)