Vertriebenen-Chefin
vertrieben
Proteste gegen
Vortragsreihe von Erika Steinbach an der Universität Potsdam
Von Agnieszka Rzek
Ende Mai sollte am Historischen Institut der Universität Potsdam die
Vorsitzende des „Bundes der Vertriebenen“, Erika Steinbach, eine vierteilige
Vortragsreihe zur „Siedlungsgeschichte der Deutschen in Ostmitteleuropa“
beginnen. Organisiert wurde diese Reihe vom Direktor des Potsdamer
Menschenrechtszentrums, Professor Eckart Klein, der zu den Unterstützern der
von Erika Steinbach geleiteten Stiftung „Zentrum gegen Vertreibung“ gehört. Der
letzte Vortrag dieser Reihe sollte lauten: „Umsiedlungen und Vertreibungen im
und nach dem Zweiten Weltkrieg“. Nach dem jeweiligen Vortrag von Steinbach
sollten 15 Minuten für Nachfragen und kurze Meinungsäußerungen zur Verfügung
stehen. In einem „Offenen Brief“ protestierte der Referent für
Öffentlichkeitsarbeit des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der
Universität Potsdam, Tamás Blénessy,
bereits im Vorfeld gegen die Veranstaltungsreihe an der Universität. Darin
setzte er sich mit den politischen Positionen von Steinbach ausführlich
auseinander.
Mehrere politische Organisationen
in und außerhalb der Universität riefen zu Aktionen gegen die Vortragsreihe
auf. Als die Vorsitzende des BDV, Erika Steinbach, an der Universität erschien,
um ihren ersten Vortrag zu halten, blockierten 50 bis 100 Personen erfolgreich
den Zugang zum Hörsaal. Daraufhin wurde versucht, die Veranstaltung nun in
einem anderen Gebäude durchzuführen und als auch das nicht möglich war, im
Historischen Institut. Jedoch gelang es auch in diesen Fällen den
Protestierenden, die Eingänge zu blockieren und so die Veranstaltung zu
verhindern. Die nun herbeigerufene Polizei löste dann gewaltsam die Blockade
auf. Die erfolgreiche Aktion gegen Steinbach führte zur Absetzung der
Vortragsreihe, was vom AStA und von einer Mehrheit im Studierendenparlament
begrüßt wurde.
In den folgenden Tagen fand an
der Universität, in ihren Gremien und in den Medien eine heftige Diskussion
über das Vorgehen der Demonstranten und Demonstrantinnen statt. Es wurde viel
über Meinungsfreiheit, Freiheit der wissenschaftlichen Diskussion und Toleranz
diskutiert. CDU, SPD und die Grün-Alternative Liste verurteilten das Vorgehen,
während Die Linke, der Verband der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und der
AStA die Blockade verteidigten und sich mit den Demonstranten solidarisch
erklärten. Es ginge hier nicht um Unterdrückung anderer Meinungen. Die an der
Uni geplante Vortragsreihe hätte keine kontroverse Diskussion ermöglicht, da
Erika Steinbach der Großteil der Redezeit eingeräumt und anderen Meinungen nur
der Status von Kommentatoren und Nachfragerinnen zugebilligt worden sei. Es
stelle sich auch die Frage, warum Erika Steinbach überhaupt eingeladen worden
sei. Sie sei eine Politikerin und keine wissenschaftliche Kapazität. Es stecke
eindeutig eine politische Absicht dahinter. Der Organisator der Vortragsreihe,
Prof. Klein, sei Unterstützer des „Zentrums gegen Vertreibungen“. Zu diesem von
vielen als politische Provokation verstandenen Hintergrund fand sich in den
Äußerungen von SPD und Bündnis90/Die Grünen bzw. ihren Vertretern kein Wort.
In Gesprächen zwischen
Universitätsleitung, Organisatoren der Vortragsreihe und dem AStA in den
folgenden Wochen wurden alternative Formen diskutiert, in der es möglich ist,
sich ausführlich mit den Thesen von Erika Steinbach auseinanderzusetzen. Sollte
die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, doch noch zu
einer Veranstaltung nach Potsdam kommen, könnte dies die Zustimmung des
Studierendenparlaments und des AStA erhalten. Voraussetzung dafür wäre, dass
sich die CDU-Politikerin innerhalb einer Podiumsdiskussion oder eines
Symposiums mit anderen Auffassungen auseinandersetzen müsste, wie die Potsdamer
Neueste Nachrichten vom 14. 6.2008 berichtete.
Während im Großen und Ganzen die
Mehrheit der Medien recht offen und manchmal
eher verständnisvoll über die Aktionen der Demonstrantinnen und Demonstranten
schrieben, ließ es sich die Springerpresse in Gestalt der Welt am Sonntag nicht
nehmen, gegen die Aktion zu hetzen. Ohne auf die Argumente der Protestierenden
einzugehen, wurde ihre Blockade gleich zu einer Diskreditierung der „68-er“
Aktionen genutzt und beides dann mittelbar mit den Aktionen der Nazis aus der
Weimarer Zeit gleichgesetzt. Dabei scheute sich der Kommentator nicht vor einer
Geschichtsklitterung zurück: Die Aktionen der „68er“ richtete sich meist nicht
gegen vor den Nazis geflohene liberale Professoren, sondern in den allermeisten
Fällen gegen ehemals den Nazis dienenden Professoren und Professorinnen.
„Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) hat die Universität Potsdam gestern
aufgefordert, die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach,
erneut einzuladen. Zugleich verlangte er von der Hochschulleitung, den Konflikt
um die Blockade der Steinbach-Vortragsreihe durch Studenten und linke Gruppen
„offen“ zu diskutieren.“
Märkische Allgemeine Zeitung vom 5.6.2008
„Die Grün-Alternative Liste (GAL)
an der Universität, die im Grundsatz die Kritik des AStA an Erika Steinbach
teilt, distanzierte sich gestern in einem Offenen Brief vom Verhalten des AStA.
„Ziviler Ungehorsam als Form des Protests gehört zu einer wehrhaften Demokratie
dazu, aber eine Verhinderung von freier Meinungsäußerung und gewaltsame
Blockade sind nur als intolerant und undemokratisch zu bezeichnen“, heißt es in
dem Schreiben.
Potsdamer Neueste Nachrichten vom 04.06.2008
Erika Steinbach, Präsidentin des
Bundes der Vertriebenen, hat eine Woche nach den Protesten ihre umstrittene
Vortragsreihe an der Universität Potsdam abgesagt. Die Erfahrung der
vergangenen Woche habe gezeigt, dass die Universitätsleitung einen
störungsfreien Verlauf der Vortragsreihe nicht gewährleisten könne, teilte
Steinbach heute mit. (...) Steinbach sprach von „verblendeten und gewaltbereiten
Gruppierungen“, denen nach eigenem Bekunden „Randale lieber als Information und
Diskussion“ sei.
Märkische Allgemeine Zeitung vom 3.6.2008
Wir dokumentieren im Folgenden den Offenen Brief von Tamás Blénessy, einen Auszug aus
einem Kommentar der Welt am Sonntag, die Stellungnahme von Karsten Heye wie
auch Auszüge aus der konservativen polnischen Tageszeitung „Rzeczpospolita“,
die über die Aktion gegen Erika Steinbach berichtete.
„Revanchismus an der Universität?“
Ein offener Brief
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Erstaunen und großer
Verärgerung nahm ich vor wenigen Tagen zur Kenntnis, dass die Universität
Potsdam auf der Internetpräsenz des Historischen Instituts eine Vortragsreihe
mit der Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach, Vorsitzende des „Bundes der
Vertriebenen“, zur Siedlungsgeschichte der Deutschen in Ostmitteleuropa
bewirbt.
Ich gehe davon aus, dass eine
offizielle Gliederung der Hochschule Veranstalterin dieses unsäglichen
Vortragswerks von Frau Steinbach ist, welches in der bewussten Hofierung
revanchistischer Thesen zumindest auf der letzten Veranstaltung „Umsiedlungen
und Vertreibungen im und nach dem Zweiten Weltkrieg“ gipfeln wird.
Frau Steinbach ist bewusst als
Präsidentin des „Bundes der Vertriebenen“ geladen worden, das suggeriert
zumindest die Homepage des Historischen Instituts. Das dürfte wohl die einzige
Qualifikation sein, welche Frau Steinbach für vier Vorträge im akademischen
Rahmen mitbringt. Dass der „Bund der Vertriebenen“ ebenso umstritten ist wie
Frau Steinbach selbst, muss ich Ihnen gewiss nicht lang und breit erklären. Ich
unterstelle, dass Frau Steinbach im vollen Bewusststein ihres Hintergrundes
eingeladen wurde.
Dass der „Bund der Vertriebenen“
zumindest bis 1994 offen die Anerkennung der deutschen Ostgrenzen verweigerte,
ist genauso ein Fakt wie Frau Steinbachs Stimmverhalten bei der Anerkennung der
deutsch-polnischen Grenze im Jahr 1990 oder der Abstimmung über die
deutsch-tschechische Aussöhnungserklärung im Jahr 1997 im Deutschen Bundestag.
Beide Abstimmungen quittierte Steinbach mit einem „Nein“. Der „Bund der
Vertriebenen“ hat darüber hinaus nichts unversucht gelassen, den EU-Beitritt
Polens und Tschechiens zu verhindern.
Ich habe in den letzten Tagen
insbesondere mit polnischen KommilitonInnen über
dieses Thema sprechen dürfen. Allesamt sind erschüttert über die Veranstaltungsreihe
mit Frau Steinbach. Für mich als Studenten der Universität Potsdam ist es
peinlich, dass sich eine Organisation von Holocaust-Überlebenden, der Verein
der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA)
öffentlich zu dieser Vortragsreihe äußert. Der VVN-BdA fordert in einer Presseerklärung ebenso wie die
Studierendenvertretung die Absage der Reihe.
Ich weiß weiterhin nicht, wie Sie
auf die Idee kommen, die Vorsitzende des „Bundes der Vertriebenen“ derart
aufzuwerten, als dass sie hier vor einem akademischen Publikum auftreten soll.
Zumindest in dem geplanten Umfang ist dies laut meiner Recherchen ein Novum.
Gerade die umfangreiche Beteiligung des Historischen Institutes lässt mich
aufschrecken: Die ideologische Grundlage des „Bundes der Vertriebenen“ ist die
„Charta der Heimatvertriebenen“ von 1950, in der es unter Anderem heißt: „Wir
Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das
unendliche Leid, welches im besonderen das letzte
Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.“ Es ist von einem „unendlichen
Leid“, welches angeblich „das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht
hat“. Für mich ist das die Geschichtsverfälschung in Reinform. Das hier
postulierte „unendliche Leid“ wurde in einem Vernichtungskrieg der Wehrmacht
mehrheitlich denen beigefügt, deren Rechtsposition der „Bund der Vertriebenen“
weiterhin zu schmälern sucht.
Ebenso kritisiere ich die Haltung
des „Bundes der Vertriebenen“ zum Begriff „Heimat“. Frau Steinbachs
Organisation kämpft für ein „Recht auf Heimat“ und vererbt den Geisteszustand
der Vertriebenen sogar über Generationen - die passende Blut-und-Boden-Rhetorik
hierzu findet sich ebenso in der Charta: „Wir haben unsere Heimat verloren.
Heimatlose sind Fremdlinge auf dieser Erde. Gott hat die Menschen in ihre
Heimat hineingestellt. Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat trennen, bedeutet,
ihn im Geiste töten.“ „Heimat“ ist hier also nicht der zufällige Geburtsort
eines jeden Menschen, sondern ein von Gott auferlegtes Schicksal, welches mit
allen Mitteln zu verteidigen ist. Dieser völkische Begriff von „Heimat“ ist
einer, welchen ich der extremen Rechten zuordne.
Wer die „Vertreibung“ der
Deutschen aus den ehemaligen „Ostgebieten“ versucht als „Unrecht“ zu
vermarkten, akzeptiert auch den Zustand von 1939 bis 1945 als „Recht“. Dieser
bewussten Verklärung von TäterInnen und Opfern des Nationalsozialismus
durch den indifferenten Status als „Vertriebene/r“, den der "Bund der
Vertriebenen" propagiert, darf kein Podium geboten werden! Neben der
Absage Ihrer aktiven Teilnahme an den geplanten Veranstaltungen mit Frau
Steinbach bitte ich Sie, folgende Fragen zu beantworten:
1. Wer hat diese
Veranstaltungsreihe maßgeblich organisiert?
2. Ist diese Veranstaltungsreihe
Bestandteil einer Lehrveranstaltung der Hochschule?
3. Entstehen für die Universität
Potsdam oder einer Ihrer Gliederungen spezifische Kosten für diese
Veranstaltungsreihe?
4. Ist diese Veranstaltungsreihe
eine Reihe des Historischen Institutes oder gar eine der Universität Potsdam?
5. Worin sehen Sie Ihren
persönlichen Beitrag zur Debatte?
Hochachtungsvoll
Tamás Blénessy
Referent für Öffentlichkeitsarbeit
Erika
Steinbach und der böse Spuk von Potsdam
Das vergangene Jahrhundert war -
vor allem in seiner ersten Hälfte - ein hoch ideologisches Jahrhundert gewesen.
Und zu seiner Aggressivität gehörte der unbedingte Wille an den extremen
Rändern rechts und links, den jeweiligen Gegner so hart wie nur möglich
anzugehen. Es war da ein radikal ausgrenzender Vernichtungsimpuls am Werk, der
oft genug auf die physische Vernichtung des Feindes zielte. Wo das nicht
möglich war, galt es zumindest, die andere Seite an der Selbstdarstellung, am
Reden zu hindern. Die diskursverhindernde
Saalschlacht gehört zum festen Inventar des 20. Jahrhunderts. Und leider
erlebte sie - nach zwei Jahrzehnten Verwestlichung -
in der studentischen Rebellion Ende der 60er-Jahre eine gewisse Renaissance. Es
ging nicht so blutig zu wie während der Weimarer Republik, aber oft ähnlich
intolerant. Liberale Professoren, die vor den Nazis geflohen und nun
zurückgekehrt waren, mussten erleben, dass man ihnen das Wort entzog, ihre
Vorlesungen „sprengte“ und sie aus ihren Instituten vertrieb. Es war ein
trauriger Höhepunkt des studentischen Protestes, der doch im Namen der Freiheit
begonnen hatte.
Ansgar Graw, Welt am Sonntag, 8.6.2008
Uwe-Karsten
Heye
Klar, da kann man geteilter
Meinung sein, ob die Einladung an Erika Steinbach, an der Potsdamer Universität
gleich eine ganze Vorlesungsreihe zur Siedlungsgeschichte der Deutschen in
Mittelosteuropa zu halten, eine Provokation war. Ein dringendes Erfordernis zur
geschichtlichen Aufklärung war das jedenfalls nicht. Frau Steinbachs Haltung
zur Sache ist in Extenso schon bei der Debatte über die Einrichtung eines
Vertreibungszentrums mehr als deutlich geworden. Was immer die Verantwortlichen
am Historischen Institut für Motive geltend machen und warum sie gerade von der
Vertriebenenfunktionärin Steinbach Erkenntnisförderndes zu erwarten hofften,
wirklich nachvollziehbar ist das nicht.
Die andere Provokation der
Hochschule gegenüber homophil orientierten Menschen fällt einem ein, die mit
dem Verbot daher kam, die Regenbogenfahne zum Christopher Street Day auf dem
Campus zu hissen. Besonders plausibel begründet war das Verbot auch nicht.
Dass die Einladung an Frau
Steinbach besonders sensibel war, angesichts eines grenzenlos gewordenen
europäischen Raumes in Mittelosteuropa, lässt sich auch nicht behaupten. Warum
fehlt es den Verantwortlichen an Fantasie, sich Gäste an die Universität zu
holen, die diesseits und jenseits der Oder und Neiße leben und die gemeinsam
darüber hätten nachdenken können wie diese große historische Chance des nach
Osten ausgeweiteten integrierten Europas zu nutzen wäre? Die Herausforderung
lautet doch wohl eher, den vergiftenden Nationalismus endgültig zu verabschieden,
der beiden Nationen so unendlich viel Leid gebracht hat. Und dass gerade
Potsdam und Brandenburg als unmittelbare Nachbarn diese Verpflichtung besonders
spüren sollten, liegt doch wohl auf der Hand. Es gab mal einen Bundeskanzler
Willy Brandt, der niederkniete in Warschau. Es war die Last einer
ungeheuerlichen und mörderischen Geschichte im deutschen Namen, die ihn in die
Knie zwang. Ein wenig von dieser Demut hätte der Potsdamer Universität und
ihrem historischen Institut gut gestanden. Es geht um eine neue Seite in der
gemeinsamen Geschichte. Es ist history in the making.
Uwe-Karsten
Heye war Redenschreiber bei Willy Brandt und Regierungssprecher von
Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder. Heute lebt Heye
mit seiner Familie in Babelsberg und arbeitet dort als Autor und Publizist.
Potsdamer
Neueste Nachrichten, 7.6.2008
Studenten
verjagten Erika Steinbach
Die Leiterin des Bundes der
Vertriebenen (BdV) konnte ihren Vortrag an der Universität in Potsdam nicht
beginnen. Studenten blockierten das Auditorium Maximum. Sie warfen auf sie mit
kleinen Wasserballons.
Erika Steinbach sollte eine
Vortragsreihe über die deutsche Ostbesiedlung und die Zwangsumsiedlungen nach
dem II. Weltkrieg beginnen. Aber Studenten begrüßten sie mit Rufen wie „Hau
ab!“ und mit kleinen Wasserballons, die sie auf sie warfen. Einer davon traf.
Aber das war nur der Anfang.
Eine Gruppe Studenten mit einem
Transparent, auf dem „50 Jahre BdV - 50 Jahre zu viel Revanchismus“ zu lesen
war, verteidigten so weit erfolgreich den Eingang zum Auditorium Maximum, dass
die mit Ballons angegriffene Leiterin des Bundes der Vertriebenen Schutz suchen
im benachbarten Gebäude der Lehranstalt musste. Die Studenten drängten sich
auch in dieses Gebäude und zwangen Steinbach (…) in das Gebäude der
Historischen Fakultät zu fliehen. Dort erwartete sie bereits eine weitere
Gruppe mit einem Transparent, auf dem zu lesen war, dass man dort, wo die
Geschichte gefälscht würde, nicht studieren könne.
„So einen Empfang habe ich nicht
erwartet. Vor drei Jahren war ich Gast an der Universität in München und traf
dort auf keinerlei Proteste. Vor wenigen Jahren empfing man mich in der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität in Warschau
gastlich“, sagte sie zur „Rzeczpospolita“. Die
Situation konnte auch von der Polizei, die sich auf dem Gelände der Universität
befand, nicht unter Kontrolle gebracht werden. Der Vortrag wurde abgesetzt.
Als Steinbach das
Universitätsgebäude verließ, wurde sie von der Parole „Opa, Oma und Hans Peter
- keine Opfer sondern Täter“ begleitet. Auf einem großen Transparent waren die
Ergebnisse der Reichstagswahl von 1933 zu lesen, die daran erinnerten, dass
Hitlers NSDAP besonders großen Anhang in den Gebieten hatte, die heute zu Polen
gehören. „Auf den ersten Blick kann man erkennen, dass die Proteste von
Kommunisten organisiert wurden“, äußerte Steinbach.
„Ich bin Mitglied der Partei Die
Linke und Abgeordneter des Brandenburgischen Parlaments, aber mit Kommunismus
habe ich nichts zu tun. Ich protestiere einzig gegen die Fälschung der
Geschichte durch den Bund der Vertriebenen und Erika Steinbach. Ich würde
ähnlich handeln, wenn an unserer Universität der Chef der neonazistischen NPD,
Udo Vogt, erscheinen würde“, erklärte Jürgen Peer, Student der Politologie.
„Ich habe den Verdacht, dass mit den Vorträgen Steinbachs politische Ziele
verfolgt würden, und es nicht um die historische Wahrheit geht. Immerhin stimmte
sie im Bundestag gegen die Oder-Neiße-Grenze. Deshalb protestiere ich“, sagte
Bernd, ein Geografiestudent. (…)
Rzeczpospolita vom 28.5.2008, Übersetzung:
Wulf Schade, Bochum
Offener Brief
zu der Vortragsreihe mit Erika Steinbach am Menschenrechtszentrum/Historischen
Institut
Die Grün-Alternative Liste (GAL)
verurteilt auf Schärfste die Ausschreitungen des letzten Dienstags, die
anlässlich der vom Historischen Institut und Menschenrechtszentrum
organisierten Vortragsreihe mit Erika Steinbach stattfanden. Wir distanzieren
uns vom Verhalten und den Verlautbarungen des AStA.
Wir teilen im Grundsatz die vom
AStA geäußerte Kritik an Erika Steinbach. Auch in unserer Hochschulgruppe gab
es Befremden darüber, dass einer so in der Öffentlichkeit umstrittenen Person,
die geradezu symbolhaft für die Verschlechterung der Beziehungen mit unseren
mittel- und osteuropäischen Nachbarn steht, mit einer ganzen Vortragsreihe ein
akademisches Podium geboten würde. Vor allem, weil die Universität Potsdam ihre
internationalen Kontakte insbesondere nach Mittel- und Osteuropa intensivieren
will, ist eine solche Veranstaltungsreihe unter dem Deckmantel der Wissenschaft
kritisch zu bewerten. Höchstens eine offene Podiumsdiskussion, wäre eine
geeignete Veranstaltungsform gewesen. Gerade aus diesen Gründen hat aus unserer
Sicht der Offene Brief des AStA an die Universitätsleitung und die
Organisatoren der Veranstaltung berechtigte Fragen aufgeworfen und war der
richtige Weg.
Es ist aber absolut nicht
hinnehmbar, mutwillig und bewusst die Veranstaltung und damit eine Diskussion
und Auseinandersetzung mit der Protagonistin versuchen zu verhindern. Ziviler
Ungehorsam als Form des Protests gehört zu einer wehrhaften Demokratie dazu,
aber eine Verhinderung von freier Meinungsäußerung und gewaltsame Blockade sind
nur als intolerant und undemokratisch zu bezeichnen. (...)
Grün-Alternative Liste (GAL)