Städtepartnerschaften
Austausch und Begegnung auf kommunaler Ebene
Von Andreas Prüfer
Der Berliner Bezirk Lichtenberg pflegt seit Beginn des Jahrtausends
intensive Kontakte zu zwei Kommunen in Polen. Als Bezirk von Berlin mit 250.000
Einwohnern waren zunächst natürlich die Hauptstadt Warszawa
und hier ein vergleichbarer Bezirk interessant. Seit dem 8.3.2000 besteht durch
die Unterstützung von Herrn Klimczak von der
Veit-Stoß-Stiftung die Städtepartnerschaft mit dem Bezirk Warschau-Białolęka.
Der 650 Kilometer entfernte nordöstliche Stadtbezirk der polnischen Hauptstadt
an der Wisła hat 41.000 Einwohner auf 7.500
Hektar, das sind 15 Prozent der Fläche von Warschau. Angesichts inzwischen sehr
ähnlicher Strukturen der Warschauer und der Berliner Verwaltung in ihrer
Zweistufigkeit bei eingeschränkter kommunaler Kompetenz - als wir Białołęka kennen lernten, gab es hier noch
eine hohe Souveränität gegenüber der Zentrale - gibt es viele ähnliche Probleme
und Projekte zur Entwicklung unserer Bezirke, die zum Erfahrungsaustausch
reizen. Bei jährlichen gegenseitigen Besuchen standen Fragen der sozialen,
kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung im Mittelpunkt von Gesprächen mit
Vertretern der Räte und der Verwaltung.
Unsere zweite Partnerkommune ist
seit dem 21.9.2001 der Kreis Hajnówka ganz im Osten
Polens, an der weißrussischen Grenze - 900 Kilometer entfernt und eher ländlich
geprägt. Im 1.600 Quadratkilometer großen Kreis Hajnówka
leben 54.000 Einwohner in 242 Dörfern. Hajnówka
selbst hat seit 1950 Stadtrecht. Die Region ist weltberühmt für den Urwald von Białowieża (Puszcza Białowieska) mit seinen frei lebenden Wisenten.
Orthodoxe Kirchenbauten, ein ehemaliges Jagdschloss der russischen Zaren oder das Museum der Weißrussischen
Kultur sind Zeugnis der wechselvollen Geschichte, die Polen gerade auch in
dieser Region hatte.
Begegnungen
Die Begegnungen und die
Zusammenarbeit in Berlin und in Polen sind über die Jahre immer unkomplizierter
geworden, waren freundschaftlich und sind von hohem gegenseitigem Interesse an
der kommunalpolitischen Arbeit der Partner gekennzeichnet. In den Gesprächen
zwischen den Verwaltungsspitzen und vielen Mitarbeitern wurden in den letzten
Jahren vor allem Instrumente und Methoden der Haushalts- und Finanzpolitik, der
Stadtplanung, der Wirtschaftsförderung und Jugendarbeit in den jeweiligen
Kommunen vorgestellt und diskutiert. Die Organisation eines längerfristigen
Austauschs von Mitarbeitern ist oft angeregt worden, konnte aber bisher noch
nicht realisiert werden.
Spätestens seit dem EU-Beitritt
der Republik Polen ist immer wieder festgestellt worden, dass oft sehr
gleichartige Probleme und ähnliche Lösungen die Verwaltungen beschäftigen, etwa
bei der Beantragung und Verwendung von EU-Fördermitteln.
Vor allem der Kultur- und
Jugendaustausch brachte für Menschen aus beiden Ländern sehr schöne Erlebnisse,
neue Erfahrungen und Kontakte. Gemeinsam mit Jugendlichen aus Białołęka konnten zum Beispiel Jugendliche
im Alter von 13 bis 16 Jahren an einem
Medienprojekt zum Thema „Wie sieht jüdisches Leben heute in Deutschland und
Polen aus?“ teilnehmen. Gemeinsam wurde 2006 an der polnischen Ostseeküste und
in Lichtenberg nach Spuren jüdischen Lebens in beiden Ländern geforscht und
entsprechende Dokumentationen erarbeitet. Natürlich blieb noch genügend Zeit
für Lagerfeuer, Spiel und Spaß, Entdeckungstouren und vieles mehr.
In diesem Jahr geht es für zehn
deutsche Jugendliche nach Okuninka in der Nähe von Włodawa, zehn polnische Jugendliche aus Warschau
kommen nach Lichtenberg. Dabei können die Jugendlichen das Leben in den
Partnerregionen mit verschiedenen Medien darstellen. Es sollen Filme, Fotos und
Internetpräsentationen entstehen. Wie in den Vorjahren werden die Ergebnisse
im 2. Halbjahr öffentlich vorgestellt.
Die Partnerschaft mit Hajnówka und der jährliche
Jugendaustausch sollen unter anderem dem Aufbau einer Schulpartnerschaft
zwischen dem BIP KreativitätsCollege
Berlin-Karlshorst (einer privaten Schule) und einem Gymnasium in Hajnówka dienen.
Diese Jugendbegegnungen werden
seit 2006 von Vereinen der Jugendhilfe in Kooperation mit dem Bezirk
organisiert und durchgeführt. Finanziert wird der Austausch aus Mitteln des
Bezirkes, des Deutsch-Polnischen Jugendwerks und der EU. Durch Kontakte Lichtenbergs
mit dem Litauischen Kreis Jurbarkas werden im Jahr
2008 daraus sogar Trinationale
Jugendbegegnungen: 18 Jugendliche aus
Litauen, Polen und Deutschland treffen sich in Lichtenberg. Unter der
Überschrift „Alle in einem Boot - unterwegs in Stadt und Land“ sollen zunächst
Flöße gebaut werden und dann mit einer gemeinsamen Bootsfahrt auf der Spree
Natur und Landschaft kennen gelernt und dabei gegenseitiges Vertrauen
entwickelt und Verantwortung für einander übernommen werden.
Leider sind bislang für Menschen
aus den Partnerstädten und Regionen, die nicht mehr ganz so jugendlich sind,
nur wenige Möglichkeiten der Begegnung gegeben. Das Bezirksamt wirbt zwar im
Rahmen seiner Möglichkeiten, gerade auch die touristischen Ziele etwa rund um Hajnówka zu besuchen, aber das findet noch zu wenig
Widerhall. Deshalb freut es besonders, dass im Juni 2008 erstmals ein Lichtenberger Kirchenchor am internationalen Festival der
„Orthodoxen Kirchenmusiktage“ in Hajnówka teilnimmt.
Weitere Möglichkeiten, vor allem des Kulturaustauschs, werden stets gesucht.
Ausgebaut werden soll auch der Austausch zwischen den jeweiligen Verwaltungen
und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Hier liegt ein großes Potenzial
für Verständigung und praktische Hilfe und zwar in jeder Richtung.
Wirtschaftskontakte
Spätestens mit dem EU-Beitritt
Polens war der Wunsch, insbesondere auch die wirtschaftlichen Beziehungen zu
entwickeln, in den Mittelpunkt vieler Gespräche gerückt. Allerdings ist die
anfängliche Euphorie, im Rahmen der Städtepartnerschaften auf wirtschaftlichem
Gebiet zusammenarbeiten zu können, inzwischen auch einer gewissen Ernüchterung
gewichen. Die Ursachen liegen in unzureichenden (außen-)wirtschaftspolitischen
Kompetenz des Bezirks Lichtenberg (wie aller Bezirke in Berlin), des geringen
Zugangs zu Entscheidungen in großen, kooperationswilligen und
kooperationsfähigen Unternehmen in
Lichtenberg und den für die vielen strukturprägenden
kleinen Unternehmen in Lichtenberg unüberwindlich erscheinenden großen
Entfernungen.
Kleine Unternehmen in Lichtenberg kämpfen um Märkte in der Region, manche
exportieren auch weltweit, allein, sie lassen sich nicht auf „Partnerschaften“ der Kommune festlegen. Von
den polnischen Partnern anfangs offerierte Angebote, Produktion aus Lichtenberg
nach Hajnówka oder Białołęka
zu verlagern, konnte der Wirtschaftsstadtrat Lichtenbergs natürlich nicht
unterstützen - schon bald war aber klar, dass nur in der Kooperation Chancen
für beide Seiten liegen.
Auch wenn sich das meiste, was
sich an Kontakten zwischen Unternehmern, an internationaler wirtschaftlicher
Zusammenarbeit zwischen polnischen und deutschen Unternehmen erfolgreich
entwickelt, fast immer dem Einfluss der Kommune entzieht, haben wir versucht,
Beispiele erfolgreicher Kooperation zu unterstützen und dafür auch Strukturen
zu schaffen. Am 14. Juni 2005 nahm in Lichtenberg erstmalig in einem Berliner
Bezirk ein Office für deutsch-polnische Wirtschaftskontakte (ODPW) die - leider
zunächst befristete - Arbeit auf. Gefördert aus Mitteln der Europäischen Union
und des Bezirkes sollte die Kooperation vor allem von klein- und
mittelständischen Unternehmen aus dem Bezirk Lichtenberg mit Unternehmen in
Polen initiiert und unterstützt werden. Grenzüberschreitende Kooperationsvorhaben
sollten möglichst bis zur Entwicklung gemeinsamer Produkte und Dienstleistungen
von Lichtenberger und polnischen Unternehmen
begleitet werden. Ein Schwerpunkt lag dabei natürlich auf der Vertiefung der
wirtschaftlichen Beziehungen mit den Partnerregionen Hajnówka
und Białołęka (Warschau) in Polen.
Zwei Jahre lang bot das Office
erfolgreich aktuelle Informationen zu Möglichkeiten der fachlichen und
finanziellen Unterstützung deutsch-polnischer Unternehmensko-operation,
Themen- und branchenbezogene Informationsveranstaltungen, Unternehmerreisen und
Unternehmertreffen sowie die Vermittlung von Unternehmerkontakten an.
Mitarbeiter des Büros begleiteten Interessenten bei der Anbahnung von
Kooperationsprojekten. Ergänzend wurden zu polnischen Partnerinstitutionen, KMU
und kommunalen Vertretern sowie Unternehmensverbänden Kontakte aufgebaut. Es
wurden schriftliche Vereinbarungen über die Intensivierung der Zusammenarbeit
getroffen, so z.B. mit dem BusinessCenter Koszalin, dem Forschungs- und Wissenschaftspark Szczecin, dem EuroInfoCenter in Kielce, dem Business-Center Zielona
Góra sowie mit der Wirtschaftskammer Konin.
Dem ODPW ist es gelungen, das
Potenzial kooperationsbereiter KMU im Wirtschaftsraum Berlin eastside zu erreichen. Durch die enge Zusammenarbeit mit
polnischen Partnerinstituten konnte das ODPW
einen breiten Zugang zu polnischen kleinen und mittleren Unternehmen
aufbauen. Mehr als 2000 Kontakte zu Unternehmen wurden in 2 Jahren gepflegt
mehr als 150 Unternehmen aus Lichtenberg bzw. angrenzende Bezirke haben die
Dienste des ODPW in Anspruch genommen.
Die Erfahrungen des ODPW und der
aufgebaute Unternehmens- und Kooperationspartnerstamm sind äußerst wertvoll.
Zurzeit wird geprüft, wie die Projektergebnisse und Kontakte in neue Projekte
aufgenommen werden können. Es hat sich aber auch gezeigt, dass eine
privatwirtschaftliche Existenz des ODPW kaum zu ermöglichen ist, da die
Zielgruppe, die kleinen und mittleren Unternehmen, den finanziellen Aufwand
dieser Beratungs- und Dolmetscherleistungen nicht tragen können, so dass die
Arbeit zunächst nicht fortgesetzt werden konnte.
Fazit
All das beschreibt das stetige
Bemühen, die Idee der europäischen Einigung auch lokal zu verankern, Kontakte
herzustellen und wie im Fall der Partnerschaften mit polnischen Kommunen, etwas
für den Austausch zwischen Deutschland und Polen zu tun - und das fernab
hochoffizieller Verlautbarungen. Die Menschen unserer Regionen sollen sich
kennen lernen, sollen von einander lernen und so zum Wohl beider Seiten
Erfahrungen sammeln, Freude miteinander teilen und Problemlösungen gemeinsam suchen. Für viele
Lichtenbergerinnen und Lichtenberger ist die
Begegnung mit Polinnen und Polen nicht neu, oft ist sie inzwischen auch Alltag.
Verschiedene Blickwinkel auf ähnliche Probleme helfen beiden Seiten, Lösungen
im Interesse der Menschen in unseren Kommunen zu finden.
Dr. Andreas
Prüfer ist Bezirsksstadtrat des Berliner Bezirks
Lichtenberg.