Republik Polen und DDR

 

Die ersten Schritte aufeinander zu

 

Von Werner Stenzel

 

Die Geschichte ist bekannt. Die Häupter der Siegermächte des 2. Weltkrieges hatten im August des Jahre 1945 in Potsdam über die Oder-Neiße Grenze befunden, einschließlich der „Überführung der deutschen Bevölkerung (...) nach Deutschland.“ Zur Klarheit der Texte war der Satz beigefügt, „dass die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zur Friedenskonferenz zurückgestellt werden soll.“ Es erwies sich, dass der Kalte Krieg mit so einer Konferenz unvereinbar war.

 

Die Zeit verlangte jedoch hinsichtlich der Grenze eine klare Entscheidung. Einerseits konnten die Umsiedler, als die sie in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) integriert wurden, nicht auf Dauer verunsichert leben, andererseits mussten klare Zeichen gegen Vertriebenenverbände in den Westzonen gesetzt werden, die Unfrieden zu säen begannen. Die Lage für die Politiker im Osten Deutschland war kompliziert, einerseits konnte die Oder-Neiße Grenze nicht populär sein, andererseits war die Spaltung Deutschlands nicht gewollt und die Chancen für eventuell anstehende gesamtdeutsche Wahlen zu bedenken. Berücksichtigt werden sollte auch, dass führende kommunistische und sozialdemokratische Politiker wie z.B. Wilhelm Pieck, Hermann Matern, Albert Norden, Otto Buchwitz selbst ihre Wurzeln jenseits von Oder und Neiße hatten und keinesfalls vaterlandlose Gesellen waren. In einer Rede am 5.10.1950 in seiner Heimatstadt Guben erklärte Wilhelm Pieck u. a.: „Man kann von einem Menschen nicht verlangen, dass er vergessen soll, wo einst sein Heimathaus stand, wo er glückliche Jahre seines Lebens verbrachte. Nur scheint mir, dass viele unserer Landsleute vergessen, warum sie ihre Heimat aufgeben mussten.“

Wie auch immer, so schmerzhaft es auch war, es musste Klarheit über die deutsche Schuld für die Verbrechen des 2. Weltkrieges, die letztlich zur Ursache neuer Grenzen wurde, und die Vorausetzungen zur Rückkehr in die internationale Völkerfamilie geschaffen werden. So wie die Republik Polen Sicherheit für die Westgebiete einschließlich der Siedlung einer neuen Bevölkerung brauchte, so war es für die SBZ zwingend, zuverlässige Partner an seiner Seite zu wissen. Als Stichworte für diese Notwendigkeit seien nur der Marshall-Plan erwähnt, der im Sommer 1948 in seine Verwirklichung trat und die im Juni 1948 von den Westmächten durchgeführte Währungsreform, die eindeutig die wirtschaftspolitische Spaltung Deutschlands zur Folge hatte.

In dieser Situation rief der Parteivorstand der Sozialistischen Einheitspartei (SED) im Juli 1948 in seiner 12. Tagung auf, konsequent gegen nationalistische Stimmungen und antisowjetische Hetze aufzutreten. Klarheit über die Oder-Neiße Grenze und gut nachbarschaftliche Verhältnisse zur Republik Polen wurden zur Lebensnotwendigkeit. Es ging dabei nicht nur um Deklarationen, es begann gleichzeitig ein reger Waren- und Zahlungsverkehr zwischen der Republik Polen und der SBZ, der mit einem Abkommen im März 1949 vertraglich vereinbart wurde. Vor diesem Hintergrund war die Herausgabe der Zeitschrift „Die Brücke“, einer Publikation deutscher Kriegsgefangener (s. a. POLEN und wir 3/2008), die in Polen Zwangsarbeit leisteten, eine Tat der Versöhnung, die vom Mai 1948 bis August 1949 mit 25 Ausgaben in je 40 000 Exemplaren bekräftigt wurde. Es war eine Brücke zwischen Deutschen und Polen, aber auch zwischen Deutschen und Deutschen, die sich unter den denkbar kompliziertesten Bedingungen um ein lebenswertes Verhältnis der Nachbarvölker mühten.

Ein bedeutsames Zeichen für die geistige und kulturelle Erneuerung Deutschlands wurde mit der Gründung der Helmut von Gerlach Gesellschaft (HvGG) im August des Jahres 1948 gesetzt. Im März 1950 nannte sich dann diese Vereinigung „Deutsch-Polnische Gesellschaft für Frieden und gute Nachbarschaft“, die die Zeitschrift „Blick nach Polen“ publizierte. Mit 40 000 Exemplaren je Ausgabe entwickelte sie sich nicht nur zu einer ansprechenden Informationsquelle, sondern gewann Bedeutung für den unmittelbaren Erfahrungsaustausch, in deren Mittelpunkt der Wiederaufbau der zertrümmerten Städte, namentlich Warschaus und Berlin, standen. Die HvGG veranstaltete regelmäßig deutsch-polnische Wochen mit repräsentativen Theater- sowie Filmvorführungen und Ausstellungen. Sie organisierte sich in Landesverbänden und Betriebskomitees.

Pioniere der deutsch-polnischen Annäherung in Polen und der DDR

Die Zeitung „Die Brücke“ als auch die HvGG sind engstens mit dem Namen ihres Generalsekretärs Karl Wloch verbunden, dessen Würdigung durch unsere Gesellschaft mir noch anzustehen scheint. Als Häftling im KZ Sachsenhausen wurde Karl Wloch für seine polnischen Leidensgefährten ein zuverlässiger Vertrauensmann, solidarisch, menschlich, bereit, Auge in Auge mit dem Feind täglich sein Leben einzusetzen. Er war der Richtige für den fast unmöglichen Versuch, in der Nachkriegszeit zwischen deutschen Kriegsgefangenen und Polen zu vermitteln und zum Erkennen gemeinsamer Interessen beizutragen. Damit schuf er eine wesentliche Grundlage dafür, dass einer der ersten Schritte der DDR-Regierung das Bemühen um die Rückführung deutscher Kriegsgefangener sein konnte. Noch am 5.12.1949 erhielt sie die Zusage der polnischen Regierung, die letzten von ihnen noch bis Jahresende zu entlassen. Spätere Funktionen als Generalsekretär der „Deutsch-Polnischen Gesellschaft für Frieden und gute Nachbarschaft“ und der Gesellschaft für kulturelle Verbindung mit dem Ausland waren für Karl Wloch Ehre und hohe Verantwortung.

Es darf auch nie vergessen werden, welchen großen Anteil Polen hatte, Deutschland in den Kreis der europäischen Völker zurückzuführen. Unverzichtbar auf diesem Weg war in den ersten Nachkriegsjahren die Tätigkeit der polnischen Militärkommission in Berlin, deren Chef der Brigadegeneral J. Prawin war, sein Stellvertreter H. Meller. Ihnen ist u. a. die Gründung und Förderung der HvGG wesentlich zu danken. Die moralische Hilfe, die Polen Deutschland entgegenbrachte, zeigt sich auch an anderen beispielen, die heute kaum noch Erwähnung finden.

Ein neues Deutschland konnte nur mit der Jugend aufgebaut werden. Eine wichtige Aufgabe hatte dabei die 1946 gegründete Freie Deutsche Jugend (FDJ). Ihre Mitwirkung in der Vereinigung der fortschrittlichen Jugend der Welt, dem Weltbund der demokratischen Jugend (WBDJ), war ein wichtiges Kriterium für Antifaschismus und Neubeginn. Im August 1948 veranstaltete der WBDJ in Warschau eine Konferenz der arbeitenden Jugend. Eine Delegation der FDJ, unter Leitung des ehemaligen KZ-Häftlings Hermann Axen nahm daran teil. Noch im selben Monat hatte die polnische Jugendorganisation Bund der Polnischen Jugend (ZMP) auf einer Ratstagung in Otwock vorgeschlagen, die FDJ in den WBDJ aufzunehmen. Ohne den Willen zur Wiedergutmachung der Schäden des 2. Weltkrieges und ohne aktives Engagement der FDJ für die Oder-Neiße Grenze und den Frieden wäre dieser Schritt nicht möglich gewesen. Die Bemühungen der FDJ fanden letztlich ihre Bestätigung mit der Ausrichtung der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im August 1951 in Berlin, an denen neben den Jugendlichen der DDR 26 000 Delegierte aus 104 Ländern teilnahmen.

Ein Ereignis mit großer

Symbolkraft: Die Friedensrundfahrt

Schließlich noch ein anderes Ereignis, das auf das Jahr 1948 datiert ist und später Millionen Menschen in seinem Bann zog. Im Jahr 1947 kam in Warschau und Prag ein Journalist auf die Idee, eine Sportveranstaltung zu organisieren, die die Lebensfreude stärkt und internationale Beziehungen weiter auf den Weg bringt. Die Verständigung sollte über den Radsport führen. Viele Namen waren im Gespräch, u. a. „Slawenrundfahrt“, aber letztlich wurde das erste Rennen am 1.5.1948 in Warschau als „Friedensfahrt“ gestartet. Es war der Pole W³odek Go³êbiewski, ein ehemaliger Offizier der in England stationierten „Andersarmee“, der als Sportredakteur der Zeitung „Głos Ludu“ durchsetzte, im Jahr 1950 eine deutsche Mannschaft zu diesem Etappenrennen einzuladen. Er war es auch, der im Jahr 1952 erreichte, die DDR in den Kreis der Veranstalterländer aufzunehmen. In dieser Zeit gingen die Sterne am internationalen Radsporthimmel von Täve Schur, Bernhard Eckstein, Klaus Ampler und wie sie alle hießen, auf.

Wie steinig der Weg in die internationale Anerkennung und zu gutnachbarlichen Beziehungen war, schildert der langjährige Direktor der Friedensfahrt Klaus Huhn in seinem Erinnerungsbuch „Spurt durch Leben“. 1950 begleitete er erstmals die Tour. Kaum einer der Begleiter wollte mit ihm als Deutschen reden und es kostete große Überzeugungskraft, den Leipziger Mechaniker zu überzeugen, nicht gleich am ersten Abend die Heimreise anzutreten. Er teilte mit seinem polnischen Kollegen für die Ersatzräder einen LKW und bei der Fahrt durch das zerstörte Warschau rief der allenthalben „Das waren die Faschisten. Du Faschist!“ Klaus Huhn schildert noch eine weitere Begebenheit: In Kattowice nahm gleich ihm an einer Abendveranstaltung eine berühmte polnische Schauspielerin teil, die Auschwitz überlebt hatte. Es dauerte nicht lange bis ihm damals bedeutet wurde, aufzustehen und zu gehen. Die Frau hatte geschworen, sich nie wieder mit einem Deutschen an einen Tisch zusetzen.

Gemeinsamer Kampf als Ausgangspunkt für Annäherung

Schwer, steinig war der Weg der Verständigung und Versöhnung. Er hätte so nicht gegangen werden können, wenn es nicht Polen und Deutsche gegeben hätte, die im KZ gemeinsam Not durchlitten und Widerstand geleistet hätten. Sie vermittelten als Lebenserfahrung, dass Brot und Frieden zusammengehören, dabei denke ich an den ehemaligen Buchenwaldhäftling Jan Izydorczyk, ebenso wie an den Emigranten Friedrich Wolf, die jeweils als die ersten Botschafter ihre Länder repräsentierten. Ich denke an die ehemaligen Sachsenhausenhäftlinge Karl Wloch, Karl Stenzel und B. Scharf ebenso wie an Zdzis³aw Jasko und A. Lewinski und viele andere, über deren Leben zu berichten sein wird.

Aus all dem wird deutlich, dass die Gründung der DDR, die sich grundsätzlich von der BRD unterschied, nicht aus heiterem Himmel kam und das Abkommen zwischen der DDR und der Republik Polen über die Markierung der festgelegten und bestehenden deutsch-polnischen Staatsgrenze keine einsamen Entscheidungen waren, sondern von einem tiefgehenden geistig-kulturellen Wandlungsprozess im Bewusstsein der Menschen begleitet wurden.

Die Unterschriften der Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, der von den Nazis unter der Anklage des Hochverrats in Braunschweig eingekerkert wurde, und dem ehemaligen KZ-Häftling von Auschwitz und Mauthausen Josef Cyrankiewicz entsprachen deren Kampf gegen den Faschismus und der Notwendigkeit von guter Nachbarschaft und Friede.