Eine Gedenkstättenfahrt nach Polen
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Im Frühjahr dieses Jahres beging man in Warschau einen besonderen
Gedenktag, den 65. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto. Das gab das
Thema für die diesjährige Gedenkstätten-Studienfahrt der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN)
in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik
Deutschland. Obwohl Warschau sommerlich ausgestorben war und zahlreiche
Institutionen geschlossen, ihre Mitarbeiter auf Urlaubsreise waren, hatten sich
VVN und Deutsch-Polnische Gesellschaft die zweite Augusthälfte für diese Reise
ausgewählt, um auch Schülern und Lehrern die Teilnahme an der Fahrt zu
ermöglichen. Was sie erwartete war ein informatives aber auch erschütterndes
Erlebnis.
Erster wesentlicher Anlaufpunkt
in Warschau war das Jüdische Historische Institut (JHI). Es ist eine
Einrichtung der besonderen Art, ist sie doch Bildungsstätte,
Ausstellungszentrum und wissenschaftliche Einrichtung zugleich. Viele Jahre
wurde das Institut von dem Historiker Professor Feliks Tych geleitet, der (1929
geboren) in Warschau mit falschen Papieren als „verwaister Neffe“ einer
polnischen Gymnasiallehrerin überlebte. Zu den Vorgängern des JHI zählt das
„YIVO Institut für jüdische Forschung“, welches 1925 in Wilnius gegründet wurde. 1929 gründete die YIVO
schließlich die „Historische Kommission“ in Warschau, an dem sich Emanuel
Ringelblum beteiligte und an deren Aufbau er in großem Maße beteiligt war. Die
Geschichte des berühmten Untergrundarchives des Warschauer Ghettos, das
Ringelblum mit einer Gruppe vertrauenswürdiger Leute aufbaute, ist sehr eng mit
dem heutigen Institut verbunden. Ende 1944 gründeten einige der Überlebenden
der vor dem Kriege existierenden Historischen Kommission die „Zentrale Jüdische
Historische Kommission“, die direkte Vorgängerin des JHI.
Der Film, den die Teilnehmer der
Studienreise im Institut zu sehen bekamen, bewegte in seiner Eindringlichkeit
wie kaum ein anderes Filmdokument. Dabei handelte es sich fast ausnahmslos um
Fotos, die seinerzeit für einen Nachkriegs-Propagandafilm der Nazis gemacht
wurden. Dr. Jürgen Hensel, Leiter der wissenschaftlichen Abteilung des
Instituts, führte die Teilnehmer der Reise dann durch das Gebiet des ehemaligen
Ghettos. Doch er beschränkte sich nicht auf die Standard-Punkte, sondern zeigte
auch, was aus und auf den Ruinen entstanden war. Dabei hinterfragte er immer
wieder stereotype Antworten, die es häufig zu dem Thema zu lesen gibt.
Zweiter Höhepunkt der Reise war
der Besuch in der Gedenkstätte Treblinka. Direktor Kopowka nahm sich die Zeit,
über die Geschichte der Vernichtung auf diesem Gelände zu berichten und die
Gruppe durch das weitläufige Gebiet zu führen. Als Zeitzeuge berichtete
Kazimierz Albin, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees. Mit der
Häftlingsnummer 180 aus dem ersten Transport aus Krakau war er in das KZ
gekommen. Nach vielen Stationen, über die er engagiert berichtete, war Albin
erfolgreich aus Auschwitz geflohen und hatte sich dem polnischen militärischen
Widerstand angeschlossen. „Endlich konnte ich aktiv gegen die Nazis kämpfen“,
so erzählt er heute.
Doch die Reise sollte nicht nur in die Vergangenheit gerichtet sein. So bot ein Gespräch mit dem Völkerrechtler, Anwalt und Universitätsprofessor Dr. Góralski einen Einblick in die positiven und negativen Seiten der deutsch-polnischen Beziehungen und löste intensive Gespräche aus. „Polen heute“ aus der Sicht einer „Gastarbeiterin“ bot dann zum Abschluss der Abend mit Susanne Kramer-Drużycka, die nicht nur von den Lebensbedingungen in Warschau heute oder dem Kampf der Lehrer um besseren Lohn berichten konnte, sondern auch darüber, wie heute noch deutsche Behörden sie zwingen wollen, ihren Namen zu ändern. Der lange Arm deutscher Standesämter reicht eben auch bis Warschau.