Alles im
Zeichen von Geschichte?
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Im kommenden Jahr soll Polens Politik zu großen Teilen im Zeichen von
Geschichte stehen. Die sich davon am meisten versprechen, heißen Donald Tusk - der amtierende Ministerpräsident, und Lech Kaczyński
- der amtierende Staatspräsident. Den Ankündigungen gemäß, ist kaum an Beschränkungen
gedacht, weder an die der Ressourcen noch an die der Gelegenheiten. Beide
Seiten beabsichtigen ordentlich aufzutischen. Da also auf so hoher Ebene zur
Geschichtsbildung geschritten wird, verdient der Vorgang Beachtung.
Geschichtspolitik hat sich mit
dem Regierungsantritt der nationalkonservativen Partei PiS
im Herbst 2005 als fester und zentraler Bestandteil der Innen- teilweise auch
der Außenpolitik etabliert. Politiker zirkeln mit Hilfe brauchbarer
Jahreszahlen Konstruktionen zusammen, in denen heutiger politischer Freund und
vor allem heutiger politischer Gegner in klar abgegrenzten Rastern sich wieder
finden sollen. Da werden Kontinuitäten über längere Zeiträume beschworen, die
in heutigen Auseinandersetzungen Orientierung zu geben versprechen. Obwohl die seit dem Herbst 2007 regierende rechtsliberale PO in
ihren politischen Komponenten andere Gewichtung an den Tag legt, ist die
Versuchung nicht zu übersehen, es 2009 der Partei des Präsidentenbruders ein
wenig nachzutun. Günstige Konstellation der Geschichtssterne verheißt
zumindest, in den Augen nicht weniger Wähler punkten zu können.
Mit Museum
Die wichtigsten Jahreszahlen, mit
denen in beiden Lagern augenblicklich operiert wird, sind 1939 und 1989 auf der
Regierungs-, 1944 und 1989 auf der Präsidentenseite. Fangen wir mit den
Nationalkonservativen an, denn diese haben seit 2004 mit dem Museum des
Warschauer Aufstands einen Erinnerungsbau hinter sich, der modernsten
Ansprüchen genügen mag und einen gleichermaßen schwierigen wie komplexen
Zusammenhang auf frappierende Weise als einfache Botschaft unter die vor allem
jüngeren Besucher bringt. Denn erzählt wird von den tragischen Ereignissen in
den drei Aufstandsmonaten als Schlussakt des freien Polens, welches erst 1989
wieder auferstehen konnte. Die Opfer wären historisch betrachtet nicht umsonst
gewesen, hätten vielmehr den Grundstein gelegt für den Freiheitssieg viele
Jahrzehnte später, was von einer gleichen moralischen Grundhaltung zeuge.
Das freie Polen habe damals gegen
zwei schier übermächtige Feinde, zwei Totalitarismen kämpfen müssen, den
deutschen Hitlerfaschismus und den Bolschewismus, habe um seine Hauptstadt
gerungen, und eine schwere militärische Niederlage erlitten, moralisch gesehen
aber gesiegt. Warschau sollte durch militärische Kräfte des polnischen
Untergrunds gemeinsam mit Freiwilligen der Zivilbevölkerung vor dem Eintreffen
der Roten Armee, die im Sommer 1944 von Osten kommend auf die Weichsel
zurollte, befreit werden. Denn bereits am 22. Juli 1944 wurde im befreiten Lublin - etwas über zwei Zugstunden von Warschau in
südöstlicher Richtung entfernt - eine provisorische polnische Regierung
installiert, die im Bunde mit Moskau stand.
Die Aufstandsführung in Warschau
vertrat hingegen die Interessen der Londoner Exilregierung, die ihrerseits auf
die massive Unterstützung der westlichen Alliierten USA und vor allem
Großbritannien zählte. Obwohl dem Londoner Lager verlässliche Informationen
darüber vorlagen, dass die Offensive der Roten Armee Mitte August vor oder an
der Weichsel zum stehen kommen, dass die Hilfe durch die Westalliierten eher
symbolischer Natur sein werde, dass also im Ernstfalle die Aufständischen in
Warschau weitgehend alleine gegen einen Feind kämpfen müssten, der keine
Skrupel kennen würde, riskierte die Aufstandsleitung den riskanten Waffengang
gegen die verhassten deutschen Okkupanten.
Der Aufstand, der sich bis
Oktober 1944 hinzog, endete mit einer militärischen Niederlage, brachte den
Deutschen an der Ostfront den letzten blutigen Sieg ein, wohlgemerkt, gegen
eine Stadtguerilla, die im okkupierten Europa ihresgleichen suchte, dennoch
keine Chance hatte, den Waffengang siegreich zu beenden. Als Bilanz blieben auf
polnischer Seite weit über 200.000 Tote. Zwar handelten die Aufständischen vor
ihrer Kapitulation mit dem deutschen Gegner noch aus, dass man sie als
Kriegsgefangene, also als reguläre Streitkraft behandelte, doch war das
Schicksal der Stadt auf dem westlichen Weichselufer besiegelt. Die übrig gebliebene
Warschauer Bevölkerung musste die Stadt verlassen, die dann durch deutsche
Truppen gnadenlos in Schutt und Asche gelegt wurde. Keine zweite europäische
Hauptstadt sah sich bei Kriegsende einem solchen Grad von Zerstörung und
Verwüstung ausgesetzt. Als die Rote Armee, die seit Mitte August 1944 an der
östlichen Weichselseite stand, Mitte Januar 1945 zu ihrer großen
Schlussoffensive nach Berlin aufbrach, die ihr und ihren polnischen Verbündeten
noch einmal fast eine Million Soldatenopfer abverlangte, wurde zunächst Polens
menschenleere Hauptstadt befreit. In der Lesart der Nationalkonservativen
wechselten damit lediglich die Besatzer. Wer aus dem Museum des Warschauer
Aufstands heraustritt, hat diese Botschaft zumindest entgegen nehmen müssen.
Mit „ohne Museum“
Den Rechtsliberalen fehlt ein
solches Geschichtsmonument. Das geplante Museum des Zweiten Weltkriegs soll
diese Lücke füllen helfen. Der ausgewählte Standort in Gdańsk steht
symbolisch für den Ort, an dem der Zweite Weltkrieg begann, und für den Ort, an
dem der auf Jalta gegründeten Nachkriegsordnung durch den friedlichen „Solidarność“-Aufbruch der Schlussakkord gesungen
wurde. Das Ende derselben symbolisiert das Jahr 1989, in dem die
mitteleuropäischen Völker selbst die Freiheit erlangt, den auf Jalta sich
gründenden und Jalta zementierenden Eisernen Vorhang zu Grabe getragen hätten. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei das
Schicksal Polens, welches nicht nur das erste Opfer im Zweiten Weltkrieg,
sondern zugleich von Anfang an das einzige Opfer gewesen sei, das gleichermaßen
durch Deutschland und die Sowjetunion bedrängt und besiegt wurde. Ähnlich wie
bei der nationalkonservativen Lesart wird hier auf die These der zwei Totalitarismen
gesetzt, soll der Zug der Roten Armee von der Wolga bis an die Spree als
Vorgang der Besetzung, weniger der Befreiung vorgestellt werden.
Was in diesem Konzept nicht
vorkommt, ist allerdings die Einreihung des Warschauer Aufstands in die
Tradition der Nationalaufstände des 19. Jahrhunderts, in denen das Bild eines
Christus der Nationen fest eingewoben war. Die polnische Nation habe sich
stellvertretend für die anderen europäischen Nationen geopfert, um - ebenso
stellvertretend - wieder aufzuerstehen. Das Augenmerk soll stärker darauf
gerichtet werden, welchen wichtigen Beitrag Polen insgesamt zur Überwindung der
nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgten Teilung des Kontinents geleistet habe.
Insofern steht der Kampf gegen den Kommunismus - in der Nuance etwas anderes
als der Kampf gegen den Bolschewismus - dann doch wieder unmittelbar neben dem
Kampf gegen den europäischen Faschismus. Wie die Ausstellungsmacher hier
grundlegende und entscheidende Differenzen sichtbar machen wollen, wird sich
zeigen. Folgt man indes den Intentionen, die bisher geäußert wurden, darf der
Beobachter zumindest skeptisch sein.
Ohne Museum
Bliebe noch kurz jene Option zu
nennen, die auch im kommenden Jahr ohne Museum und ohne die Absicht, die eigene
Idee in einem solchen zu vergegenständlichen, auskommen wird. Allerdings bleibt
sie vorerst jene Option, auf die der Geist der noch immer geltenden Verfassung
von 1997 ruht. Da die beiden rechten politischen Richtungen, die sich seit
Jahren für eine Verfassungsänderung oder gar eine neue Verfassung aussprechen,
auch 2009, wie gesehen, sich an der Geschichtslinie trennen, darf bereits hier
davon ausgegangen werden, dass auch in den nächsten 12 Monaten kaum politische
Zeit übrig bleiben wird, sich diesem großen Werk zuzuwenden.
Ein kleiner Trost also für jene,
die noch immer auf das Vermächtnis des Runden Tisches vom Februar 1989
schwören. Denn, so oder so - an diesem Möbelstück begann die Geschichte des
demokratischen Systems, mit dem Polen ins 21. Jahrhundert gegangen und in die
Europäische Union gelangt ist. Kein gutes Ohmen vielleicht, dass 2008 zwei
Persönlichkeiten gestorben sind, die im Geist und im politischen Handeln
stellvertretend für die beiden entscheidenden Seiten der Rundtischgespräche
standen: Bronisław Geremek und Mieczysław F. Rakowski.
Der Autor möchte hier versichern, dass er sich mit diesem Text weder
gegen das Museum des Warschauer Aufstandes noch gegen ein mögliches Museum des
Zweiten Weltkriegs ausspricht. Im Gegenteil. Sollten einst die Verdienste des
jetzigen Staatspräsidenten Polens gewürdigt werden, bliebe sein Engagement für
die Errichtung des Museums in Warschau, welches er als damaliger Stadtpräsident
der Hauptstadt an den Tag legte, ganz oben zu würdigen. Allerdings sind Museen
und die Absichten zu einem solchen immer zugleich auch Teile einer öffentlichen
Gedenkkultur, über die dann auch öffentlich gestritten werden darf. Das trifft
insbesondere dann zu, wenn das Gedenken sehr politisch verstanden wird.
Dr.