Lernen wir uns
kennen, Nachbarn!
Von Wolfhard Besser
Dieses Motto war vor 40 Jahren Titel einer Sendereihe, die der
Polnische Rundfunk und Kinderradio DDR gestalteten. Es wird immer wieder - auch
heute noch - verschiedentlich behauptet, zwischen der DDR und der Volksrepublik
Polen hätte es nur eine verordnete Freundschaft gegeben; sie sei aufgezwungen
worden. Sicherlich waren einige Dinge
zwischen beiden Ländern von „oben“ gelenkt. Trotzdem gab es auf „unterer Ebene“
Bemühungen, zu einem freundschaftlichen Miteinander und Verstehen zu gelangen.
Viele Sportclubs, Kulturgruppen, aber auch Kollektive aus Betrieben und
Genossenschaften unterhielten Kontakt mit Kollegen, Sportfreunden und
Kulturschaffenden. Auch Kommunen bemühten sich um Partnerschaften jenseits der
Grenze. Über solche Schritte aufeinander zu, schrieb kürzlich Werner Stenzel in
dieser Publikation (Polen und wir 4/2008). Über ein anderes Beispiel der
Annäherung soll hier die Rede sein.
Es ist das Jahr 1969. Bis zum visafreien Verkehr zwischen der DDR und der Volksrepublik
Polen sollte es noch Jahre dauern (1.1.1972), aber zum Bereisen des
Nachbarlandes stellen die DDR-Behörden bereits Visa ohne Begründung aus.
Im Herbst 1968 unterbreitet die
Kinder- und Jugendredaktion des Polnischen Rundfunks Warszawa
dem DDR-Rundfunk den Vorschlag, einen gemeinsamen Wettbewerb zu veranstalten.
Der Kinderfunk des Polnischen Rundfunks hatte zu dieser Zeit in der Sendereihe
„Blaue Stafette“ bereits mit Partnerredaktionen in den sozialistischen Ländern
Wissenswettbewerbe durchgeführt. Nun wollen die Akteure in Warschau gleiches
für die Kinder in der DDR gestalten unter dem Motto: Weil wir Nachbarn sind,
wollen wir uns besser kennen lernen.
Die jungen Hörer beiderseits von
Oder und Neiße sollen angeregt werden, sich Wissenswertes über das jeweilige
Nachbarland anzueignen. Am Schluss werden Preisfragen zum behandelten Thema
stehen. Notwendig dazu ist, sich mit der Geschichte, der Kultur, dem Sport und
der Wissenschaft des jeweils Anderen zu befassen; Nachschlagewerke zu wälzen,
Lehrer und Eltern zu befragen. Die geplanten fünf Sendungen legen den
Grundstock für die Antworten. Die Kinderfunkredaktion von Radio DDR ist erfreut
über den Vorschlag und sagt zu.
Ende 1968 waren die notwendigen
Absprachen zwischen der Redaktion „Blaue Stafette“ in Warschau und Kinderradio
DDR getroffen worden und der Austausch der jeweiligen Sendungen erfolgt.
Während der Winterferien im Februar 1969 werden die fünf Wissenssendungen ausgestrahlt.
So lernen die polnischen jungen Hörer in den Sendungen Berlin (Ost), Elbflorenz Dresden,
die Messestadt Leipzig, das DDR-Tor zur Welt Rostock und die Pionierrepublik am
Werbellinsee kennen. Den Kindern in der DDR werden
zur gleichen Zeit die Hafenstadt Szczeciń, die
Messestadt Poznań, die Hauptstadt Warschau, das
Erholungszentrum Podhale (Tatra) und das
altehrwürdige Kraków vorgestellt. Am Schluss jeder
Sendung sind jeweils zwei Fragen zu beantworten. Zum Abschluss können alle zehn
Antworten an die Redaktionen eingeschickt werden.
Viele Hundert Mädchen und Jungen
beiderseits der Grenzflüsse beteiligen sich an diesem Wissenswettbewerb. Viele
von ihnen begnügen sich nicht mit der lapidaren Beantwortung der Fragen. Sie
senden dicke Alben, selbst gestaltete Landkarten, Wandzeitungen und Bildbände
über ihre Nachbarn jenseits von Oder und Neiße ein. Die Jury hat es nicht
leicht, aus den Einsendungen die jeweils zehn besten und originellsten
auszuwählen und die Preisträger zu küren. Auf sie wartet eine Sommerreise durch
das Nachbarland.
Vom 6. - 14. Juli 1969 reisen die
zehn deutschen Preisträger, Mädchen und Jungen zwischen 11 und 14 Jahren, nach
Polen und besuchen die Orte, die sie bereits aus den Sendungen kennen und über
die sie geschrieben haben. Es ist eine fröhliche und aufgeschlossene Reise, die
die Kinder neugierig macht; immer wieder Neues ist zu entdecken,
Sehenswürdigkeiten, die in Sendungen nicht alle vorgestellt werden konnten. Ein
nachhaltiges Erlebnis ist eine freundschaftliche Begegnung mit polnischen Kindern in einer Warschauer
Ferienkolonie. Und so geht die neuntägige Rundfahrt gar zu schnell in Zgorzelec zu Ende.
Die Woche darauf kommen die
polnischen Preisträger in die DDR und bereisen die Städte und Orte, über die
sie schon durch die Sendungen informiert waren. Aber selber sehen ist etwas
ganz Anderes, als nur darüber erzählt zu bekommen. Auch ihre Reise ist voller
Erlebnisse. Sie sind sogar etwas
ideenreicher als die deutschen Preisträger; sie dichten ein langes Lied über
ihre Reise durch das Nachbarland. Dieses gemeinsame Unternehmen der beiden
Kinderfunkredaktionen bleibt von der Öffentlichkeit nicht unbemerkt. Die Presse
Polens und der DDR bringt kurze Nachrichten oder widmet der Aktion kleinere
Artikel.
Noch Jahre danach bleiben einige Preisträger beiderseits der Grenze untereinander bzw. mit den beteiligten Redakteuren in Briefverbindung. Ich als Autor dieses Berichtes halte noch heute engen Kontakt mit einer damals beteiligten Mitarbeiterin des Polnischen Rundfunks. Was allerdings nicht zustande kommt - und das ist aus heutiger Sicht bedauerlich - ist ein gemeinsames Treffen der polnischen und deutschen Preisträger. Das wäre sicher ein zu großer organisatorischer Aufwand geworden, weil die Kinder aus den unterschiedlichsten Gegenden des jeweiligen Landes kamen. Trotzdem war dieses gemeinsame Sendeprojekt über Ländergrenzen hinweg ein hoffungsvoller Anfang zum gegenseitigen Verstehen und Kennen lernen.