Nahe Nachbarn - weite Nachbarn

 

Weißrussland ist für Polen ein wichtiger Nachbar - und das Patenkind der Regierung in Warschau

 

Von Agnieszka Hreczuk

 

„Weißrussland ist heute meine Priorität“ - mit diesen Worten gelang es Polens Außenminister Radoslaw Sikorski Mitte September in Brüssel, die EU davon zu überzeugen die Sanktionen gegen Minsk aufzuheben. Das war eine Wende in der EU-Politik gegenüber Weißrussland. Doch am überraschendsten war, dass die versöhnlichen Worte von dem polnischen Minister kamen. Denn bisher gehörte die Regierung in Warschau zu den größten Kritikern des Regimes in Weißrussland und Alexander Lukaschenkos persönlich.

 

Polen äußerte sich in der Vergangenheit immer wieder für die Anbindung Weißrusslands an die westlichen Strukturen. Wie sich Frankreich als Anwalt der südlichen Mittelmeeranrainer in der EU versteht, so versteht sich Polen in Bezug auf die ehemaligen sowjetischen Republiken an der polnischen Grenze. Es will Anwalt und Pate sein, denn Polen sieht sich als Vorbild einer erfolgreichen Demokratisierung in Weißrussland und der Ukraine. In Kiew vermittelte Polen zwischen den Lagern während der Orangenen Revolution, in Weißrussland hätte es deswegen auch gerne vermittelt - nur das es dort keine Möglichkeiten für Gespräche gab. Trotzdem tritt in der polnischen Öffentlichkeit, anders als in der restlichen EU, das Thema Weißrussland täglich auf den Plan.

Das lebendige Interesse Polens an Weißrussland ist nichts besonderes, sagt Dr. Adam Eberhardt  vom Zentrum für Ost-Studien in Warschau. „Klar, dass Polen am meisten von der internen Situation in Weißrussland betroffen ist, allein wegen der Nähe“, erklärt der  Weißrussland-Spezialist. „Je demokratischer und stabiler das System dort ist und je besser die Beziehungen zwischen Warschau und Minsk sind, desto besser für Polen. Kein Land will  einen feindlichen und autokratischen Nachbarn haben.“

Immerhin teilen die beiden Länder eine 418 Kilometer lange Grenze, die gleichzeitig die EU-Außengrenze ist. Auch ein gemeinsames Schicksal teilen sie: Jahrhundertelang gehörte Weißrussland zum Königreich Polen, danach wurden die beiden Länder Teil von Russland und anschließend dem sowjetischen Block. Die Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze ist vermischt. In Weißrussland sind ca. vier Prozent der zehn Millionen Bürger Polen, in Polen leben etwas über 200.000 Weißrussen.

Ausgerechnet die Minderheiten spielten eine große Rolle bei der Verschlechterung der gegenseitigen Beziehungen zwischen Minsk und Warschau, noch bevor die EU Sanktionen eingeführt hatte. Die Weißrussen in Polen sind sich ihrer nationalen Identität stark bewusst, stärker als in ihrem eigenen Land. In Polen existierten schon vor der Wende Schulen mit Weißrussisch als Muttersprache, arbeiteten weißrussischsprachige Künstler und Demokraten, die Kontakte mit Solidarność hatten. Nachdem Weißrussland seine Unabhängigkeit wiedererlangte, unterstützten die Weißrussen in Polen die Demokratisierung Weißrusslands und die Wiedergeburt der nationalen Identität.

Dann sorgte das Lukaschenko-Regime dafür, dass die Entwicklung stillstand. Die Kontakte zwischen weißrussischen Aktivisten auf beiden Seiten der Grenze und zu den Demokraten in Polen wurden gegen das Regime Lukaschenkos eingesetzt. Die polnische Regierung unterstützte die Demokratisierung umso stärker, je stärker sich Minsk in den Augen Warschaus von Moskau abhängig machte. Polen erteilte den weißrussischen Oppositionellen Asyl, vergab Stipendien an Hunderte in ihrer Heimat abgewiesene Studenten, informierte Journalisten, die zu freien Medien in ihrem Land keinen Zugang haben. In der Tradition von Radio Free Europe wurde sogar ein weißrussischer Fernsehsender in Polen gegründet, finanziert aus Polen, der auf weißrussisch sendet und von weißrussischen Journalisten gemacht wird.

Die polnisch-weißrussischen Beziehungen wurden kälter, als vor zwei Jahren die polnische Minderheit von dem Regime in Weißrussland unterdrückt wurde. Auch nach dem Regierungswechsel in Polen änderte sich an den Beziehungen nicht viel. „Bisher kann man schlecht von einer aktiven polnischen Politik gegenüber Weißrussland sprechen“, sagt Adam Eberhardt. „Wenn, dann eher über die Ausschlusspolitik, die gemeinsam mit der ganzen EU betrieben wird.“

Deshalb überraschte die jüngste polnische Initiative selbst in Polen. Mitte September traf der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski den weißrussischen Ministerpräsident Siarhiej Martynau - das erste Treffen  zwischen einem EU-Vertreter und Weißrussland auf so hoher Ebene. Ein paar Tage danach warb Sikorski in Brüssel für die Aufhebung der Sanktionen. Dass der Vorschlag von Sikorski eine eigene, polnische Initiative ist, glaubt der Experte Adam Eberhardt nicht. „Es war eine längst mit der EU abgesprochene Taktik“, meint er.

„Die Ausschlusspolitik der EU hat etwas gebracht“, schätzt Adam Eberhardt ein. „Lukaschenko hat sich zwar nicht geändert, aber er braucht wirtschaftliche Zusammenarbeit. Vor den Investitionen aus Russland fürchtet er sich langsam, denn dahinter steckt oft der Schatten des Kremls.“ Doch zur Demokratisierung und einer guten Nachbarschaft ist der Weg noch lang, glaubt der Weißrussland-Experte. Deshalb solle Polen in der Zukunft eher eine „aktive Bedingungspolitik“ betreiben: Wenn sich die Situation in Weißrussland gut entwickelt, wenn die Menschenrechte respektiert werden, soll auch Polen Zugeständnisse machen.

In erster Linie sollten das Erleichterung bei Visa-Regelungen sein und Investitionen. „Die polnische Minderheit wird sicherlich immer wieder ein Thema in den Beziehungen zu Weißrussland. Doch sie sollte nie das einzige Ziel sein. Polen sollte nach dem Prinzip wirken - wenn alle zehn Millionen Weißrussen demokratische Rechte gewährleistet bekommen, dann werden auch die Rechte der Minderheiten geschützt, darunter auch der polnischen."

Die weißrussische Opposition schaut indes aber besorgt auf die jüngste Wende in der polnischen Politik. „Von Verrat ist noch nicht die Rede“, sagt Alaksiej Dzikavicki, ein weißrussischer Journalist, der in dem alternativen TV-Sender Belsat arbeitet. Doch die  Aktivisten fürchten, die Erwärmung der Beziehungen zwischen der EU und Weißrussland könnte auf ihren Kosten verlaufen. Alexander Kazulin, einer der entlassenen politischen Häftlinge, kritisierte das Treffen zwischen dem polnischen Außenminister Sikorski und dem weißrussischen Ministerpräsidenten Martynau. Es wurden, sagt er, dabei komplett die Oppositionellen ignoriert.                                 

 

Agnieszka Hreczuk ist Korrespondentin von n-ost (www.n-ost.de)