Deutsch-polnische Kooperation für NS-Verfolgte

 

Aktive Erinnerungsarbeit und  Hilfe

 

Von Dr. Jost Rebentisch

 

Der Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V. und das Stowarzyszenie Zamojskie Centrum Wolontariatu richten eine Beratungsstelle in Zamość ein. Zamość in Südostpolen ist ein romantisches Städtchen mit einer zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärten Renaissance-Innenstadt. Die Stadt ist eingebettet in die wunderschöne Landschaft der Roztocze, mit Nationalparks und ausgedehnten Wäldern. Als Deutschland 1939 Polen überfiel, hat Heinrich Himmler, dem SS-Reichsführer, die Stadt und die Gegend so gut gefallen, dass er dieses Gebiet zur Kernzelle der in Polen durchzuführenden „Germanisierung“ machen wollte - Zamość sollte dann nach dem Abschluss der Operation „Himmlerstadt“ heißen.

 

Ab Ende 1942 begannen deutsche Polizeieinheiten damit, polnische Einwohner aus ihren Dörfern zu vertreiben und an ihrer Stelle zunächst Deutschstämmige aus der Bukowina und Bessarabien anzusiedeln. Doch die Pläne, die durchgeführt wurden, waren wesentlich weitgehender: Die „evakuierte“ Bevölkerung wurde von einer sogenanntenUmwandererzentrale“ nach rassischen Kriterien bewertet, selektiert und dem entsprechend weiter behandelt: Zwei Gruppen arbeitsfähiger Polen waren zur „Wiedereindeutschung“ vorgesehen, einer dritten, nicht „eindeutschungsfähigen“ Gruppe drohte die Zwangsarbeit in Deutschland, soweit die Menschen nicht über 60 oder unter 14 Jahre alt waren. Diese alten Menschen, Kinder und Jugendlichen wurden in sogenannten „Rentendörfern“ untergebracht. Als „Rentendörfer“ bezeichneten die deutschen Besatzer die ehemaligen jüdischen Siedlungen, deren Bewohner längst in die Ghettos und Vernichtungslager transportiert worden waren. Dort erfroren und verhungerten Tausende von ausgesiedelten Kindern und alten Menschen, um deren Versorgung sich niemand kümmerte. Eine vierte und letzte Gruppe mit als „kriminell“ oder „asozial“ eingestuften Personen, wurde direkt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Es genügte, den deutschen Besatzern negativ aufgefallen zu sein, um in diese Gruppe zu geraten. Insgesamt wurden im Rahmen der „Aktion Zamość“ mehr als 100.000 Menschen vertrieben, viele Dörfer wurden, weil es dort Widerstand gegen die Deportationen gegeben hatte, dem Erdboden gleich gemacht, alle Einwohner ermordet. Allein in der „Rotunde“, einem Gestapo-Gefängnis vor den Toren von Zamość, wurden mehr als 8.000 Menschen getötet.

Auch heute leben in Zamość und Umgebung viele Menschen, die diese Schrecken und andere grauenhafte Erfahrungen in der Nazizeit durchleben mussten. Es gibt noch  Augenzeugen der furchtbaren Ereignisse, ehemalige Gefangene der Konzentrationslager, Opfer von „Befriedungsaktionen“, Zwangsarbeiter und auch deportierte Kinder, die später zu ihren Eltern zurückgekehrt sind. Gemäß den Angaben der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ leben in Zamość und in der näheren Umgebung über 5.000 NS-Verfolgte aller Verfolgungskategorien, die Anträge auf Leistungen aus den Mitteln der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gestellt haben. Sehr viele dieser älteren Menschen befinden sich heutzutage in einer schwierigen materiellen und gesundheitlichen Lage.

Es gibt in Zamość zurzeit sechs Organisationen, die Kombattanten, ehemalige Gefangene und geschädigte Personen vereinen. Diese Organisationen haben sich bisher allerdings weniger um die gesellschaftliche Aktivierung ihrer Mitglieder und um die Vermittlung der Erfahrungen der Überlebenden an jüngere Generationen bemüht. Es gibt heute kaum mehr Treffen von Zeugen dieser tragischen Ereignisse mit Jugendlichen in Schulen oder Jugendorganisationen. Das Schicksal dieser Menschen in den Mittelpunkt des Interesses von Institutionen wie Bildungseinrichtungen („lebendige Geschichtsstunden“ sollten zum Bestandteil des Schulunterrichts werden), dem Schulklub der Freiwilligen oder der Pfadfinderorganisation zu rücken - das ist eine Aufgabe des Stowarzyszenie Zamojskie Centrum Wolontariatu (Freiwilligenzentrums von Zamość).

Um dies in Zukunft erfolgreicher umzusetzen und die Hilfe für die Überlebenden auf eine feste Grundlage zu stellen, hat sich der Vorstand des Freiwilligenzentrums an die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gewendet, die ein Anbahnungsprojekt für eine Partnerschaft mit dem Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V. in Köln finanziert hat. Nach Besuchen einer polnischen Delegation in Köln und einer deutschen Delegation in Zamość kam es dort am 18. Juni 2008 zur feierlichen Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages.

Auf der Basis dieses Vertrages sind nun Anträge gestellt worden, die es ermöglichen sollen, in gemeinsamer Arbeit eine Beratungsstelle für NS-Verfolgte in Zamość einzurichten. Gemeinsam mit dem Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V. und der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung hat das Freiwilligenzentrum von Zamość die entsprechenden Gelder für eine dreijährige Einrichtungsphase bei der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ beantragt. Eine Entscheidung über den Antrag steht derzeit noch aus.

In der entstehenden Beratungsstelle sollen nach dem Beispiel des Bundesverbandes Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V. die Überlebenden in humanitären, rechtlichen und sozialen Fragen beraten werden, es soll aber auch eine Einrichtung entstehen, die die Weitergabe der Erfahrungen der Überlebenden an Kinder, Jugendliche und alle weiteren Interessierten organisiert. Weiterhin realisiert werden soll eine persönliche Betreuung möglichst vieler Überlebender durch einen Freiwilligendienst - ein Gebiet, auf dem das Freiwilligenzentrum weit reichende Erfahrung besitzt. Auch ein intensiver deutsch-polnischer Austausch mit gemeinsamen Tagungen zum Informations- und Gedankenaustausch unter den Freiwilligen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Beratungsstellen ist geplant und wird sicherlich zur polnisch-deutschen Verständigung beitragen.

 

Kontakt:

Dr. Jost Rebentisch

Bundesverband Information und

Beratung für NS-Verfolgte e.V.,

Holweider Str. 13-15, 51065 Köln  Tel.: +49 (0)221 17 92 94 23

rebentisch@nsberatung.de,

www.nsberatung.de

 

Krystyna Rybińska-Smyk

Stowarzyszenie Zamojskie Centrum Wolontariatu

ul. Kolegiacka 16, 22-400 ZamoϾ Tel.: (+48) 84 627 94 82

k.rybinskasmyk@wolontariatzamosc.plwww. wolontariatzamosc.pl

 

Dr. Jobst Rebisch ist stellvertretender Geschäftsführer des Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte e.V. in Köln.