Nationalismus am Ortseingangsschild?

 

Schlesische Ortstafeln tragen nach über 60 Jahren wieder auch deutsche Namen - damit wächst die Angst vor einer Instrumentalisierung durch Nationalisten

 

Von Markus Nowak

 

An diesen Anblick werden sich die Bewohner Schlesiens gewöhnen müssen: An den Ortseingangsschildern einer kleinen Kommune werden ab diesem Wochenende auch die deutschen Ortsbezeichnungen zu lesen sein. Die südpolnische Gemeinde Radlow tauscht ihre 70 alten polnischen Ortsschilder aus und stellt neue zweisprachige auf. Aus Radlow wird wieder auch Radlau, Biskupice wird zu Bischdorf und das Dorf Ligota Oleska nennt sich nun auch Ellguth. Damit wird ein neues Kapitel in der deutsch-polnischen Geschichte und vor allem im Umgang mit der deutschen Minderheit zwischen Oder und Bug aufgeschlagen.

 

Ein mulmiges Gefühl wird in dem geschichtsträchtigen Moment Radlaus Gemeindevorsteher W³odzimierz Kierat begleiten. Nachdem einige Ortschaften in der Kaschubei vor wenigen Tagen schon zu den Pionieren in Sachen bilaterale Ortsschilder wurden und vergangene Woche bereits das schlesische Dorf Lubowice ein erstes deutsch-polnisches Ortsschild aufgestellt hat, befürchtet Kierat  Unannehmlichkeiten für seine Landgemeinde. Es wird eine Zeit „des Abwartens und der Unsicherheit“, sagt er. Vor allem die Angst vor Hooligans, die faschistische Symbole auf die deutsch- und polnischsprachige Ortsbeschilderung sprühen könnten, plagt den 44-jährigen Kommunalpolitiker. Denn jegliche Form von Vandalismus könnten die Medien als polnischen Nationalismus auffassen. Aber „rückwärts gewandt dürfe man nicht denken“, verwischt Kierat seine Zweifel und erklärt, er setze nur geltendes Recht um.

Denn als im Jahre 2005 der polnische Staat seinen Minderheitenschutz erweiterte, gehörte Radlau zu den Vorreitern, die schon ein Jahr später Deutsch als Hilfssprache in der Gemeindeverwaltung einsetzten. Zeitgleich bemühte man sich auch um das Aufstellen der zweisprachigen Ortsschilder. Rund 27 Prozent der Einwohner der 4500-Seelen-Gemeinde bekennen sich zum Deutschtum und damit sieben Prozent über dem aus Warschau vorgegebenen Quorum.

Einst wollte Kierat, der polnischer Herkunft ist, nicht der letzte im Regierungsbezirk Oppeln (Opole) sein, der die deutsche Minderheit auf diese Weise fördert - nun gehört er zu den Vorreitern. Jeden Tag erkundigen sich interessierte Kommunalpolitiker nach dem Prozedere, bestätigt Kierat. Eine der Auflagen ist der Rückgriff auf deutsche Namen vor der Zeit der NS-Machtergreifung 1933. Radlow wird damit nicht Radelsdorf, wie es unter den Nazis seit 1935 hieß, sondern Radlau.

Für die Oppelner Schilderfabrik „Restal“ war der 140.000 Z³oty (ca. 40.000 Euro) teure Auftrag zunächst ein Novum. Man erwarte aber weitere Bestellungen zweisprachiger Ortstafeln in der kommenden Zeit, wie Mitarbeiter Dariusz Siwiñski erklärt. Polenweit existiert in 51 Gemeinden ein ausreichend hoher Anteil an ethnischen Minderheiten, um zweisprachige Ortsschilder aufzustellen, wie es aus dem Warschauer Innenministerium heißt. Allein 27 davon befinden sich in Schlesien, doch nur rund ein Drittel müht sich um die zweisprachigen Ortsschilder, obwohl das Innenministerium die Kosten dafür übernimmt. Nur wenige Kommunalpolitiker wissen davon, kritisierte zuletzt der Parlamentsabgeordnete der Linkspartei SLD Eugeniusz Czykwin in einer Regionalzeitung das mangelnde Interesse am Austausch der Schilder.

Weitere Gründe dafür sind aber auch die bürokratischen Hürden, die nun die Gemeinde Radlau ebnen werde, wie der Parlamentsabgeordnete der deutschen Minderheit Ryszard Galla erklärt. Radlau müsse nach dem Motto „Geht voran, es wird schon gut!“ vorgehen, denn „es fehlen präzise formulierte Vorschriften zur Umsetzung des Minderheitenschutzes“, kritisiert Galla.

Derweil fürchtet der Vorsitzende der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien, Norbert Rasch, Ausschreitungen - ausgelöst durch die Ortsschilder - und damit einen Imageverlust für die Gesellschaft. In den Reihen der deutschen Minderheit, berichtet er, gebe es Leute, die mahnen „wenn es wieder so ist, dass wir Salz im Auge sind, dann sollten wir das lieber lassen“. Für ihn selber gilt: Mit solchen Argumenten könne man gleich die Minderheitenorganisationen auflösen und die deutschsprachigen Gottesdienste sein lassen.

Einen Gottesdienst in deutscher Sprache gibt es in Radlau nur noch selten und nur auf Wunsch der Deutschstämmigen, erläutert Gemeindepfarrer Konrad Wawrzinek. Wie auch die anderen Gemeinden im Umkreis interessieren sich vor allem ältere Mitglieder der deutschen Minderheit dafür - und diese werden auf natürlichem Wege immer weniger. Jungen Menschen seien die zweisprachigen Ortsschilder egal, erzählt Kierat. Er muss es wissen, im Vorfeld des Gemeindebeschlusses hat er Gespräche mit den Einwohnern geführt.

Nicht egal sind die Ortsschilder einer Gruppe von Gegnern im Regierungsbezirk. Selten melden sie sich öffentlich zu Wort. Maciej ślęczek aus Polska Cerekiew (Polnisch Neukirch) tat dies zuletzt in einer Oppelner Regionalzeitung und tadelte, die Finanzierung der Ortsschilder aus dem Topf der polnischen Steuerzahler sei ein „Skandal“. Seine nationalen Töne gehen gar weiter, die deutsche Minderheit sei eine „große Lüge, denn in Polen gibt es nur Polen und in Deutschland Deutsche“.

Harsche Proteste könnte es zudem geben, wenn eine Kommune auch ihre Straßennamen in beiden Sprachen aufstellt, was laut dem Gesetz möglich ist. Im Fall der „droga polna“, zu deutsch: Feldweg, ist das noch unproblematisch. Doch nicht selten waren nationale Figuren nach 1945 Pate für die Straßenzüge - wird es dann auch Mickiewicz- und Pi³sudski-Straßen oder die Straße des Warschauer Aufstandes geben? Die Bewohner Schlesiens würden sich wohl auch an diesen Anblick gewöhnen.

Markus Nowak ist Korrespondent von n-ost (www.n-ost.de)