Posen - meine
zweite Haut
Von Aleksandra Pielatowska
und Gregor Miklis
„Polen? Wo ist das denn? Was willst du denn da? Liegt das nicht bei Sibirien?“
Diese Fragen leiten eine der letzten Geschichten, die im Buch „Posen -
meine zweite Haut. Gedichte und Kurzgeschichten über dein und mein Leben“ von
Barbara Erdmann ein. Die zweisprachige Edition - der Originaltext wird von der
polnischen Übersetzung begleitet - ist mit Fotographien bebildert, die
ebenfalls von der Autorin stammen.
Eine Buchbeschauung fange ich
gewöhnlich von hinten an. So auch hier. Ein Titel: „Die alte Frau und das
Meer“, eine Frage, zu Beginn der Erzählung aufgeworfen; eine Geschichte aus dem
Leben des Großvaters der Autorin, der während des Ersten Weltkrieges aus der
polnischen Armee desertiert und nach Deutschland geflüchtet sei. Wie denn das?
Flüchten? Und auch noch nach Deutschland? In meiner Familiengeschichte
verliefen die Lebenswege umgekehrt. Auch habe ich den Eindruck, die
Großvatergeschichte muss in Wirklichkeit etwas anders verlaufen sein. Um eine
Flucht aus der polnischen Armee kann es sich dabei nicht gehandelt haben, da es
eine solche Armee zum gegebenen Zeitpunkt noch gar nicht gab; wohl aber war
eine Entscheidung da: die Entscheidung für einen anderen Ort zum Leben und dann
die Sehnsucht nach jenem freiwillig verworfenen Stückchen Heimat. Eine
Sehnsucht, so gewaltig, dass er sie seiner Enkelin zu vererben vermochte: eine
Sehnsucht nach einem vom Großvater erzählten Märchenland. Heute befremdet es mich,
dass ich nie an die Sehnsucht der Deutschen gedacht habe. War ich zu einfältig?
Oder habe ich gar geglaubt, nur Polen hätten das Recht, sich nach jenem
einzigartigen Fleckchen Erde zu sehnen?
Für diese Fragen, die mich
während der Lektüre des Buches beschäftigt hatten, möchte ich mich bei der
Autorin aufrichtig bedanken. Das Lesen war mir ein Vergnügen. Gemeinsam mit der
Autorin durfte ich - geboren in Posen - mit dem Buch bekannte Orte durchwandern
und mich an den Geschichten ergötzen, die sie ausfüllten. Selbst ein mir
eigenes Gefühl des Verlustes fand sich auf Barbara Erdmanns Seiten wieder:
polnische Frauen, Mädchen; sie sind nun so europäisch, sie haben doch
tatsächlich ihre Andersartigkeit, ihre Individualität abgelegt. „(...) was an
Polin heute heranwächst, ist eher europäischer Durchschnitt mit dem Hang zur
modischen Geschmacklosigkeit (...)“, lese ich im Buch und gebe der Autorin
Recht. Mit einem leisen Anflug von Trauer. Eine solche Behauptung wäre wohl
früher auf Widerstand gestoßen. Fremdkritik können wir Polen nun einmal nicht
leiden, doch es fällt schwer, in Barbara Erdmann eine Fremde zu sehen: auf den
Buchseiten hört man ihr Herz schlagen.
„Ich war eine Fremde, und fühlte
mich doch zuhause ich schwieg und wurde doch verstanden ich war allein und doch begleitet.“ Diese
Worte stammen von Barbara Erdmann, einer Deutschen, auf den Spuren ihres
Großvaters. Während ihrer Wanderung wurde sie von der Erde, der Landschaft
verzaubert.
Im Buch finden sich zahlreiche
Fotos der beschriebenen Orte und Naturaufnahmen voller Zuneigung. Es mutet wie
ein Reisejournal an: bereist wird aber eher die Zeit als der Raum. Die Zeit -
das sind vierzig Jahre, eingeschlossen zwischen der ersten Begegnung des Großen
Westen und des Kleinen Ostens und dem lange ersehnten, ersten Händedruck dieser
Beiden. Und dann? Vielleicht wird dann ein Märchen wahr: dann beginnt „das
letzte Eis zwischen ihnen endlich zu schmelzen (…), und Wärme und Nähe nehmen
zwischen dem dann Großen Osten und Kleinen Westen Platz?“
Ein Fragezeichen. Trotz allem.
Wie lange müssen wir noch warten, bis der Kleine Osten über sich hinauswächst,
bis der Große Westen seine glanzvolle Unnahbarkeit aufgibt, bis man endlich auf
gleicher Augenhöhe miteinander redet?
Die polnische Übersetzung der
Texte wurde von Małgorzata Ulanicka
(Prosa) und Bożena Bochenek
(Gedichte) besorgt. Während die Übertragung der Gedichte, durchaus gelungen und
oftmals sogar sehr gut geworden ist, ist die Prosaübersetzung leider nur als
mangelhaft zu bezeichnen. Die wörtliche Übernahme des Titels „Posen - meine
zweite Haut“ ins Polnische ist ein Kuriosum. Den polnischsprachigen Prosatexten
mangelt es völlig an Sprachgefühl und Atmosphäre. Die deutschen
Originalerzählungen sind da ungleich besser, was für den polnischen Leser sehr
bedauerlich ist.
„Posen - meine zweite Haut. Gedichte und
Kurzgeschichten über dein und mein Leben“ von Barbara Erdmann, Books on Demand GmbH in Nordestadt (ISBN 978-3-8370-5883-3)
Aleksandra Pielatowska,
geboren 1945 in Poznań. Studium der Philosophie
und Religionswissenschaft an der Adam-Mickiewicz-Universität
in Poznań. Freie Journalistin. Langjährige
Mitarbeiterin von Radio Multikulti Berlin.
Zahlreiche Publikationen in der polnischen Presse. Lebt und arbeitet in
Berlin
Gregor Miklis, geboren 1967 in Tarnowskie
Góry (Polen). Studium der Osteuropäischen
Kulturgeschichte und Philosophie in Bremen und Sankt Petersburg. Dolmetscher,
Übersetzer und Autor. Lebt und arbeitet in Berlin