Grenzen trennen -die Oder verbindet

 

Die ersten Schritte des deutsch-polnischen Kooperationsnetzwerkes der „Oder-Partnerschaft“

 

Von Harald Wolf

 

Das Konzept eines „Europas der Regionen“ ist in aller Munde. Schon ein flüchtiger Blick auf unseren Kontinent zeigt, dass sich die sozioökonomische Entwicklung von Städten und Regionen längst nicht mehr innerhalb des engen Korsetts nationalstaatlicher Grenzen vollzieht. Gerade das Engagement grenznaher Räume überall in Europa beweist sehr eindrucksvoll, dass der oftmals als abstrakt empfundene Gedanke der europäischen Integration hier bereits im Alltag von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angekommen ist. Deutlich wird das in Regionen wie dem historisch gewachsenen SaarLorLux-Verbund im Grenzraum zwischen Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutschland, der dynamischen Öresund-Region um die Metropolen Malmö und Kopenhagen sowie den deutsch-niederländischen Euregios.

 

Der „Lauf der Geschichte“ wollte es, dass sich seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten auch Polen und Deutsche als gute Nachbarn und Partner in einem vereinten Europa zusammengefunden haben. Bereits seit Anfang der 90er Jahre nutzen die Gemeinden und Landkreise beiderseits von Oder und Neiße die neu gewonnene Freiheit, um ihre viele Jahrzehnte durch Abschottung und Abgrenzung dominierte Koexistenz zugunsten vielfältiger Formen der grenzüberschreitenden Kooperation zu überwinden. Hinzu kommt: In den vergangenen Jahren machte vor allem der sich verschärfende globale Wettbewerb einen leistungsfähigen Kooperationsverbund dringend notwendig. Im Jahr 1999 formulierte der ehemalige polnische Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski während eines Berlin-Besuches erstmals die Vision einer deutsch-polnischen Odergemeinschaft für Wissenschaft, Wirtschaft und Technologie unter expliziter Einbeziehung der Metropole Berlin. Spätestens der Beitritt Polens zur Europäischen Union am 1.Mai 2004 unterstrich schließlich die Dringlichkeit, die hochgesteckten Ziele gemeinsam in die Praxis umzusetzen. Intensive Vorbereitungs- und Abstimmungsprozesse mit den beteiligten Wirtschaftsministerien, Marschallämtern und Stadtverwaltungen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen, Zachodniopomorskie, Lubuskie, Wielkopolskie, Dolnośląskie, Gorzów Wlkp., Szczecin, Poznań und Wrocław bereiteten in den Jahren 2005 und 2006 die Grundlage für die erste Wirtschaftskonferenz der Oder-Partnerschaft, die am 4. April 2006 mit mehr als 200 Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung im Berliner Ludwig-Erhard-Haus stattfand.

Die polnischen und deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten ihre langjährigen Erfahrungen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Europa und kamen zu dem Schluss: Nur eine projekt- und praxisorientierte Zusammenarbeit mit einem erlebbaren Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger wird das notwendige Vertrauen und Sozialkapital zwischen den Regionen generieren. Deshalb wurden in den Bereichen Innovation, Technologietransfer, Förderung mittelständischer Unternehmen, Tourismus, Verkehr und Logistik erste konkrete Leitprojekte vereinbart. So organisierten die Partner des TEICO-Net-Projektes (Technology - Enterprises - Innovation - Cooperation - Network) unter der Federführung der Investitionsbank Berlin in Szczecin, Potsdam, Poznań, Berlin und Wrocław branchenspezifische Kooperationsbörsen. Auf diese Art konnten deutsch-polnische Kooperationen zwischen technologieorientierten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) aus den Partnerregionen unterstützt werden. Ende Oktober 2008 billigte der zuständige Ausschuss für das INTERREG-Ostseeraumprogramm die Folgeinitiative JOSEFIN (Joint SME Finance for Innovation). Nun stehen den involvierten Wirtschaftsfördereinrichtungen, Technologiezentren und öffentlichen Finanzinstitutionen in Mecklenburg-Vorpommern, Zachodniopomorskie, Brandenburg, Lubuskie, Berlin, Wielkopolskie und Dolnośląskie in den kommenden drei Jahren rund 3,5 Mio. € an EU-Geldern zur Verfügung. Damit werden Innovationsprojekte von KMU grenz- und regionenübergreifend gefördert. Darüber hinaus können sich polnische und deutsche Unternehmen seit Anfang des Jahres 2008 auf der bilingualen Internet-Plattform EUNOP (EU-Net Oderpartnership) unter www.eunop.eu kostenlos über die innerhalb der Oder-Partnerschaft verfügbaren Wirtschaftsförder-, Service- und Veranstaltungsangebote informieren. Gleichzeitig führten die EUNOP-Partner 2008 im Rahmen der Berliner Europawoche und der PROBIZNES-Messe in Szczecin zwei themenbezogene Veranstaltungen durch, die von Unternehmerinnen und Unternehmern mit großem Interesse wahr genommen wurden.

Eine enge Zusammenarbeit zwischen den Metropolen und Regionen Westpolens und Ostdeutschlands setzt natürlich auch grenzüberschreitende Verkehrsverbindungen voraus, die den Anforderungen einer zunehmend mobilen Gesellschaft entsprechen. Hier hat sich seit Beginn der 90er Jahre einiges getan. Investitionen in die interregionale Straßen-, Autobahn- und Bahninfrastruktur haben die Situation verbessert. Seit Ende 2006 treffen regelmäßig Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Wojewodschaften, Stadtverwaltungen, Landesministerien, Verkehrsverbünde, Eisenbahnbehörden und Verkehrsdienstleister am „Runden Tisch Verkehr“ zusammen, um sich über konkrete Maßnahmen für den grenzüberschreitenden Bahnverkehr abzustimmen. Recht schnell führte das Zusammenwirken der Regionen und Institutionen zu einer besseren Synchronisation der deutschen und polnischen Fahrpläne. So konnten - ohne kostenintensive Investitionen - Fahrzeitverkürzungen zwischen 30 und 120 Minuten erreicht werden. Zu den jüngsten Erfolgen der Partner gehört neben umfangreichen Marketing-Aktivitäten das „Berlin-Gorzów-Ticket“, das Fahrgästen nicht nur einen einheitlichen grenzüberschreitenden Tarif zwischen beiden Städten bietet, sondern gleichzeitig die Nutzung von Bussen und Straßenbahnen in Gorzów Wlkp. ermöglicht.

Trotz dieser ersten erfolgreichen Schritte besteht auf beiden Seiten nach wie vor ein großer Nachholbedarf. So ist die gegenwärtige Reisezeit per Bahn von über sechs Stunden für die rund 300 km zwischen dem dynamischen Industrie-, Dienstleistungs- und Wissenschaftsstandort Wrocław und Berlin/Cottbus nach wie vor inakzeptabel. Hier gilt es, die gemeinsamen Bemühungen der Regionen gegenüber den nationalen Ministerien zu intensivieren, um die bereits diskutierten Lösungsansätze möglichst rasch in die Tat umzusetzen.

Auch über den Verkehrsbereich hinaus ist es nur allzu natürlich, dass die ersten Schritte der Zusammenarbeit nicht ohne Hürden und Umwege verlaufen. Zunächst ist hierbei ein grundsätzliches Spannungsverhältnis zwischen Kooperation und Konkurrenz zu sehen.  Dies zu überwinden, bedarf es bei allen Beteiligten eines intensiven und langfristig orientierten Umdenkens. Selbstverständlich stehen Wirtschaftsstandorte sowohl regional als auch national und europäisch im Wettbewerb zueinander. Doch gerade eine zunehmend internationalisierte Ökonomie verlangt die verstärkte Einbindung der Unternehmen in regionale Wertschöpfungsketten, intensive Handels- und Geschäftsbeziehungen untereinander sowie eine enge Vernetzung der vielfältigen Bildungs- und Forschungskapazitäten. Gemeinsame Innovations- und Technologieinitiativen und der abgestimmte Ausbau der Infrastruktur können einen interregionalen Mehrwert erzielen, von dem alle beteiligten Standorte profitieren. Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker hat mit Blick auf die bereits seit mehr als 40 Jahren praktizierte Zusammenarbeit in der SaarLorLux-Region diesen Gedanken einmal sehr prägnant zusammengefasst: „Es gibt einen Unterschied zwischen Egoismus und wohlverstandenen Eigeninteressen. SaarLorLux bedeutet das Ende der lokalen Schizophrenie!“ Und hier bedarf es sicherlich gerade in Berlin besonderer Anstrengungen, um das über Jahrzehnte gewachsene „Inseldenken“ aus den Zeiten des Kalten Krieges zu überwinden. Gemeinsame Projekte und gemeinsam erzielte Erfolge sind der beste Weg, neue Perspektiven und Sichtweisen in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft zu verankern.

Auch konkrete politisch-administrative Fragen stellen die Oder-Partnerschaft regelmäßig vor neue Herausforderungen. Aus deutscher Sicht ungewohnt sind beispielsweise die verhältnismäßig häufigen Personalwechsel in den Marschallämtern und Stadtverwaltungen. So ist es oft recht schwierig, auf der Basis persönlicher Kontakte eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufzubauen. Gleichzeitig möchte ich jedoch unterstreichen, dass die Abstimmung und Begleitung der wirtschaftsorientierten Kooperationsvorhaben unserer erfolgreich etablierten Tandem-Struktur zwischen dem Marschallamt Zachodniopomorskie und meiner Verwaltung sehr konstruktiv verläuft. Allerdings stoßen wir regelmäßig auf Hindernisse, die sich aus den unterschiedlichen Strukturen der politischen Systeme Polens und Deutschlands ergeben. Während die deutschen Bundesländer durch die föderale Struktur der Bundesrepublik über weiterreichende Kompetenzen und Freiheiten verfügen, erfordert der zentralstaatlich geprägte Aufbau der Republik Polen häufig eine intensivere Einbindung nationaler Stellen. In diesem Zusammenhang freue ich mich sehr, dass wir mit dem jüngsten politischen Treffen zur Oder-Partnerschaft am 5. November 2008 in Poznań die Weichen für eine vertrauensvolle und ergebnisorientierte Zusammenarbeit zwischen allen Ebenen stellen konnten.

Wir werden den eingeschlagenen Weg mit Konsequenz, Engagement und einer Portion Gelassenheit weiter bestreiten. Die Förderinstrumente der Europäischen Union zur Finanzierung grenzüberschreitender Kooperationsvorhaben stellen hierbei auch künftig einen zentralen Baustein zur praktischen Umsetzung unserer ehrgeizigen Pläne und Strategien dar. Die Oder-Partnerschaft wird langfristig gedeihen, wenn sie auf der wertvollen Basis ihrer geografischen, kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vielfalt heraus „von unten“ wächst.

Denn ob Metropole oder ländlicher Raum, ob Industrie- oder Dienstleistungsstandort, ob Küste oder Mittelgebirge - gemeinsam sind wir in Europa stark!                           

 

Harald Wolf ist Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Technologie und Frauen des Landes Berlin