Interesse und Konflikt

 

Von Dr. Hans-Georg Draheim

 

Das Deutsche Polen Institut e.V. hat als Veranstalter einer wissenschaftlichen Tagung, die vom 9. bis 11. März 2007 in Darmstadt stattfand, einen bemerkenswerten Sammelband mit Beiträgen von Wirtschaftswissenschaftlern, Wirtschaftshistorikern, Historikern und Politologen zum Thema: „Interessen und Konflikt. Zur politischen Ökonomie der deutsch-polnischen Beziehungen, 1900-2006“ veröffentlicht. Der zeitliche Rahmen umfasst ein Jahrhundert des vielfachen Wandels der deutsch-polnischen Beziehungen.

 

Der Sammelband beginnt mit der zu Ende gehenden Zeit der polnischen Teilung, der Entstehung des polnischen Staates und durchläuft die Periode der ökonomischen Konflikte der Zwischenkriegszeit, der unmenschlichen Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus im besetzten Polen, der stalinistischen Wirtschaft sowie der wirtschaftlichen und politischen Transformation nach der Zäsur von 1989 sowie im Rahmen der EU. Diese wechselvolle Zeit deutsch-polnischer Geschichte wird an Hand der Entwicklung von Handels- und Verkehrsbeziehungen, Kapital- und Investitionsströmen, Arbeitsmigration und Zwangsarbeit im gesellschaftlichen Kontext dargestellt und durch Fakten- und erkenntnisreiche Beiträge untersetzt, so von Wolf, Kowal, Bingen, Morawski, Kopper, Loew, Meducki  u.a.

Ein besonderer Schwerpunkt der Publikation sind Untersuchungen zum Verhältnis von ökonomischen, ideologischen und moralisch-ethischen Fragen in den deutsch-polnischen Beziehungen. So wird an Hand neuer Forschungen gezeigt, dass bestimmte geschichtliche Tatsachen und Vorgänge der deutsch-polnischen Geschichte unter bestimmten Aspekten differenzierter zu bewerten sind. Das betrifft neben anderen Aspekten der deutsch - polnischen Geschichte beispielsweise überzogene Darstellungen zur Bedeutung Westpolens als Kornkammer des Deutschen Reiches, da die polnischen Bauern in preußischer Zeit in Wirklichkeit als Konkurrenten mit Protektion gestraft und benachteiligt wurden. Auch die Zwischenkriegszeit war durch gravierende ökonomische Konflikte gekennzeichnet, so durch deutsche Forderungen nach Revision der deutsch-polnischen Nachkriegsgrenzen, durch die deutsche Exportblockade und den deutsch-polnischen Zollkrieg. Der verlogen begründete Zweite Weltkrieg hatte nicht nur das Ziel, Polen zum wirtschaftlichen Hinterhof zu machen, sondern die polnische Nation auszulöschen und das Land zu germanisieren. Die Darstellung der Nachkriegszeit bezieht sich vor allem auf die wirtschaftliche Abhängigkeit Polens von der Sowjetunion im Rahmen des RGW. Zugleich wird nachgewiesen, dass der Handel mit der BRD vor allem für die industrielle Modernisierung der polnischen Rohstoffwirtschaft maßgebend war.

Ein weiterer Schwerpunkt sind die aktuellen Aspekte der deutsch - polnischen Wirtschaftsbeziehungen und der polnischen Wirtschaftspolitik. Wolf sieht in der Entwicklung von 1989 für die deutsche und die polnische Wirtschaft einen dreifachen Schock: einen Integrationsschock, der eine bisher wenig durchlässige Grenze verschoben und geöffnet habe, einen damit verbundenen Systemschock, bei dem die Marktwirtschaft die Planwirtschaft ablöste und einen Globalisierungsschock  mit der Tendenz zunehmender wirtschaftlicher Integration der beiden Länder. 

Obwohl die wirtschaftlichen Veränderungen gravierend sind, hat die Verflechtung mit der Wirtschaft der ehemaligen Teilungsmächte tiefe Spuren hinterlassen, die auf die Entwicklung Polens zur einheitlichen Industrienation noch heute nachhaltige Wirkungen zeigen. Insofern war der Internationalisierungsprozess der polnischen Wirtschaft nach 1989 auch Teil eines älteren Prozesses. Als Krönung der Umorientierung wird die Erweiterung der EU 2004 und 2007 gesehen. Maßgebende Bedeutung wird in diesem Zusammenhang dem Zustrom ausländischer Direktinvestitionen (ADI) für die Privatisierung, Modernisierung  und Belebung der polnischen Wirtschaft beigemessen. Zugleich wird aber festgestellt, dass für die gegenseitige wirtschaftliche Verflechtung beider Länder der Warenaustausch wichtiger sei als der ADI-Strom. Seit 1990 ist die Bundesrepublik unverändert der wichtigste polnische Partner im Außenhandel. Während Deutschland ein Kapitalexporteur von weltweiter Bedeutung ist, geht dessen Bedeutung als ADI-Quelle für Polen   zurück. Polen hingegen ist Kapitalimporteur, dessen Unternehmen kaum Auslandsinvestitionen tätigen. Diese Asymmetrie könnte sich durch die Entwicklung in Technologie, Maschinenbau und vor allem in der Autobranche, künftig verändern.

Es gäbe noch weitere Aspekte der Publikation, die hervorhebenswert wären, zum Beispiel die Schwerpunkte Arbeitsmigration, Zwangsarbeit, die Wirtschaft im Zweiten Weltkrieg, Wiedergutmachung sowie Kultur und Moral. Doch hier fehlt leider der Platz für eine angemessene Darstellung genannter Themen. Deshalb abschließend der Hinweis, dass die Publikation seit September im Buchhandel erhältlich ist.

 

Interesse und Konflikt. Zur politischen Ökonomie der deutsch-polnischen Beziehungen, 1900 - 2007, Herausgegeben von Dieter Bingen, Peter Oliver Loew und Nikolaus Wolf, Veröffentlichung des Deutschen Polen-Instituts, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2008, 28.-Euro.

 

Dr. Hans-Georg Draheim, (geb. 1938), habilitierter Wirtschaftswissenschaftler, vorwiegende Tätigkeit in Lehre und Forschung vor allem auf dem Gebiet der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung an der damaligen Handelshochschule und Universität Leipzig.