Vermittler zwischen den Kulturen

 

Zum Gedenken an Henryk Bereska

 

Von Magda Parys Liskowski

 

Im Rahmen des deutsch-polnischen Jahres 2006 erschien unter dem Titel „Postmosty. Polacy i Niemcy w nowej Europie“ die polnische Fassung dieses Werkes, das in diesem Jahr in aktualisierter und erweiterter Form dem deutschen Lesepublikum zugänglich gemacht wurde: Dem Gedenken an Henryk Bereska gewidmet. Die Herausgeberinnen präsentieren die vielfältigen Leistungen von Bereskas, der mit vielen Orden geehrt, von Literaturwissenschaftlern beleuchtet und von Schriftstellern geschätzt wurde, aber einem breiterem Publikum immer noch zu wenig bekannt ist als Übersetzer, Dichter und Kulturmittler der polnischen Literatur in Deutschland.

 

Das von Gabriela Matuszek ohne Bereskas Wissen verfasste Buch „Postmosty“ sollte eine Überraschung zu seinem 80. Geburtstag und seinem 55. Jubiläum der Übersetzertätigkeit sein. Doch Henryk Bereska erlebte seinen 80. Geburtstag nicht mehr. Er verstarb einige Monate vor der Veröffentlichung von „Postmosty“.

Bereska stand nicht gerne im Mittelpunkt. Daher besteht das ihm gewidmete Buch eigentlich aus zwei Büchern. Im ersten Teil findet sich eine Sammlung zur aktuellen politischen und kulturellen Problematik. Im zweiten Teil finden sich Erinnerungen seiner Freunde an Henryk Bereska.

Im ersten Teil kommen Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen, darunter Dichter und Schriftsteller zu Wort. Die thematische Vielfalt bildet einen europäischen Dialog zu deutsch-polnischen Themen, der nicht nur Antworten liefert, sondern Fragen zu formulieren sucht. Brygida Helbig-Mischewski präsentiert den momentanen Zustand der Polonistik-Fakultäten an deutschen Universitäten und stellt die Frage nach dessen Zukunft. Olaf Münzberg möchte wissen, ob die europäische Literatur auch das Gewissen Europas sein kann und Stanisław Piskora fragt, ob es nicht an der Zeit ist, von einer Vervollständigung Europas zu sprechen, statt von einer Erweiterung. Viel Platz wird den Deutschen in der polnischen Gegenwartsliteratur und im polnischen Film eingeräumt. Polnischen Dichtern und Schriftstellern in Deutschland ist der Artikel von Hans Christian Trepte gewidmet.

Es sind alles Themen, die Henryk Bereska nahe lagen. Bereska war ein Mensch, der sein ganzes Leben dem Brückenbauen zwischen Polen und Deutschland gewidmet hat. Der polnische Titel „Postmosty“ ist daher nicht zufällig ausgewählt worden.

„Ich wurde Fährmann, übertrug kostbare Fracht“

Im zweiten Teil des Buches sind Bereska gewidmete Gedichte u.a. von Tadeusz Różewicz platziert. Viel Aufmerksamkeit finden Bereskas Übersetzungen, Gedichte, Aphorismen und schließlich seine Tagebücher, die er sein ganzes Leben lang verfasste. Die detaillierte Bibliographie seiner Übersetzungen nimmt über 30 Buchseiten ein! Bereska brachte dem deutschen Leser über 200 Autoren nahe. Darunter Namen wie Kochanowski, Mickiewicz, Prus, Reymont oder Żeromski. Doch das ist einzig ein Bruchteil seiner Übersetzertätigkeit. Er übersetzte darüber hinaus „Wesele“ von Wyspiański, ein Werk, an das sich bis dahin kein anderer Übersetzer herantraute, denn der Text wurde für nicht übersetzbar gehalten. Sein schöpferisches Talent übertrug er ebenfalls auf die Literatur des 20. Jahrhunderts und auf die Literatur der Gegenwart. In seiner Übersetzung erschienen die Werke von Andrzejewski, Iwaszkiewicz, Borowski, Miłosz, Brandys, Różewicz und Mrożek, Herbert, Lec, Stachura, Kozioł und zahlreicher weiterer, die hier nicht alle erwähnt werden können.

Die dramatische Geschichte Nachkriegsdeutschlands, die das Land in zwei Staaten teilte, führte dazu, dass die Übersetzungen polnischer Literatur ins Deutsche weltweit am häufigsten vorzufinden sind. Denn es wurde auf beiden Seiten der Grenze übersetzt. Es kam vor, dass einige Werke in zwei Übersetzungsfassungen verfügbar waren. So war Bereska sicherlich nicht der einzige Übersetzer polnischer Literatur, aber ein herausragender. In Zeiten der düsteren und allgegenwärtigen DDR-Zensur war Bereska ein Aktivist, jemand, der abseits der Institutionen kreativ war und seine Freiheiten bewahren konnte. Wie viele haben das in der DDR geschafft? Vielleicht einige Dutzend. Das lässt sich mit der polnischen Realität und den dort erfolgten Tauwetterperioden keinesfalls vergleichen. Bereska knüpfte Kontakte und Freundschaften mit Autoren, deren Werke er übersetzen wollte und die von den DDR-Machthabern bestenfalls toleriert wurden. Stur und entgegen allen Verboten schmuggelte er geschriebene Worte und schrieb nach Jahren in einem seiner zahlreichen Gedichte „Ich wurde Fährmann, übertrug kostbare Fracht“. Der Stempel eines „listigen Fährmanns“ blieb an ihm haften und wird bis heute mit seiner Person assoziiert.

Henryk Bereska war kein in Polen und in der Bundesrepublik bekannter DDR-Schriftsteller, er war kein Mitglied der SED. Stets mit seiner Arbeit beschäftigt, versuchte er abseits der großen Ereignisse zu leben. Doch daraus wurde nichts, denn er pflegte Kontakte zu DDR-Dissidenten. Er war mit Peter Hichel befreundet, den er besuchte, ohne sich darüber Sorgen zu machen, dass er sich alleine durch seinen Besuch auf der Liste der feindlichen Staatselemente wiederfand. Er setzte sich ernsthaften Schwierigkeiten aus, als er die Petition gegen die Ausweisung Wolf Biermanns aus der DDR unterschrieb (auch Christa Wolf hatte unterschrieben). Er war mit herausragenden Schriftstellern und Intellektuellen wie Andrzej Kijowski oder Jan Józef Lipski befreundet. In all den Jahren wurde er eingehend von der Stasi überwacht, die ihn in den 70er Jahren geheimer Kontakte mit Kuroń und Michnik verdächtigte. In seinen Tagebüchern schrieb er, dass er sie gerne persönlich kennen gelernt hätte, es dazu aber noch nicht kam. Er begegnete ihnen erst nach dem Fall der Berliner Mauer.

Wanderung durch unterschiedliche Welten

Aus den Erinnerungen seiner Freunde schält sich die Gestalt eines Menschen, der Kneipen, Frauen, die Schlesische Küche und starken Wodka mochte. Dies verleiht dem Buch einen spezifischen Charakter. Es ist sicherlich keine weitere wissenschaftliche Arbeit, bei der der Durchschnittsleser im Tiefschlaf versinken wird. Es ist eher eine Wanderung durch unterschiedliche Welten und physisch-sinnliche Sphären. Bereska lauschte gerne in das Leben hinein und stürzte sich in Diskussionen mit zufällig in Kneipen kennen gelernten Gesprächspartnern. Seine Freunde berichten, dass er erst mal berühren und riechen musste, um kreativ sein zu können. Er flüchtete aus dem „politischen“ Berlin ins kleine Kolberg, in seine Hütte, die jahrelang keinen Strom und keine Heizung hatte, und schrieb. Bereska war nicht nur ein herausragender Übersetzer und fleißiger Tagebuchverfasser, sondern auch ein erstklassiger Autor von Gedichten und Aphorismen, was seine Freunde und Literaturkenner im vorliegenden Buch betonen. Doch das ist eine andere Geschichte, die sicherlich ein eigenes Buch verdienen würde.

Es ist nicht so einfach, wissenschaftliche Texte, Dichtung, Dankesreden, Erinnerungen und Bereskas Tagebücher zu einer zusammenhängenden Einheit zu verbinden. Hier ist es gelungen. Es ist so sehr gelungen, dass das polnische Buch seine deutsche Fortsetzung fand. Vor einigen Monaten erschien „Postmosty“ unter der Redaktion von Brygida Helbig-Mischewski und Gabriela Matuszek auf dem deutschen Buchmarkt. Die aktualisierte und um neue Fragmente aus Tagebüchern, Gedichten und Erinnerungen erweiterte Ausgabe mit dem Titel „Fährmann Grenzenlos. Deutsche und Polen im heutigen Europa“ offenbart neue Details aus seinem Leben und lässt weitere kontroverse Meinungen von Forschern der europäischen Grenzbereiche zu Wort kommen.

Ungeduldig warte ich auf die Veröffentlichung aller Tagebücher von Henryk Bereska - es wäre ein wertvolles Zeitdokument, das die Wirrungen des letzten halben Jahrhunderts und die Person dieses originellen Vagabunden und Zigeuners offenbaren würde. Noch besser wäre eine Biographie, die das individuelle Schicksal dieses Schlesiers, der geboren am Schnittpunkt dreier Besatzungszonen sein gesamtes erwachsenes Leben einige Meter von der Mauer verbrachte, ohne in den Westen reisen zu dürfen, erzählen würde. Er ist ein Mensch der Grenzen, die er geschickt zu überwinden wusste.   

 

B. Helbig-Mischewski, G. Matuszek (Hg.): Fährmann grenzenlos. Deutsche und Polen im heutigen Europa. Zum Gedenken an Henryk Bereska. 454 S., 31 Abb., Broschur, 49,80 €. Georg Olms Verlag; 2008.

 

Magda Parys-Liskowski wurde 1972 in Danzig geboren. Studierte Polonistik und Erziehungswissenschaften an der Humboldt Universität Berlin. Dichterin, Übersetzerin und Chefredakteurin der literarischen Zeitschrift "Squaws". Organisatorin internationaler Literaturwettbewerbe und Festivals. Doktorandin an der Humboldt-Universität zu Berlin.