Weltkrieg
einkalkuliert
Von Martin Seckendorf
Für den 23. Mai 1939 hatte „Der Führer und Reichskanzler“ Adolf Hitler
die Spitzen der Wehrmacht in die Neue Reichskanzlei bestellt. Unter den 15
Teilnehmern befanden sich der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm
Keitel, die Oberbefehlshaber der Teilstreitkräfte und deren Stabschefs. Die
Beratung gehörte zu den wichtigsten Zusammenkünften zur Vorbereitung des
Überfalls auf Polen und zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges. Die
Niederschrift über die Besprechung spielte im Nürnberger Prozess gegen die
deutschen Hauptkriegsverbrecher 1945/1946 eine Schlüsselrolle. Sie belegt nach
Ansicht des Gerichts in besonderer Weise die Aggressivität des deutschen
Faschismus und zeigt, dass die deutsche Führung bereit war, für die
„Erweiterung des Lebensraums“ und zur Erlangung der Herrschaft über Europa auch
einen Weltkrieg zu führen.
Die Forderung nach schneller
Vergrößerung des „Lebensraums“ stand am Anfang von Hitlers Rede. „Ohne Einbruch
in fremde Staaten oder Angreifen fremden Eigentums ist dies nicht möglich“,
meinte er. Hitler wies darauf hin, die „Raumerweiterung“ solle im „Osten“
erfolgen, was im Kontext seiner bisherigen Äußerungen „Raumgewinn“ auf Kosten
Polens, der baltischen Staaten und der Sowjetunion bedeutete. Deshalb bleibe es
bei dem „Entschluß, bei erster passender Gelegenheit
Polen anzugreifen“. Hitler fuhr fort, es gehe nicht um das unter
Völkerbundmandat stehende Danzig, das in der Öffentlichkeit als
Hauptstreitpunkt genannt worden war. „Es handelt sich für uns um Arrondierung
des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung, Aufrollen des
Ostsee- und Baltikum-Problems.“ Außerdem gewönne man dringend benötigte
Arbeitskräfte, denn „die Bevölkerung nichtdeutscher Gebiete (…) steht zur
Arbeitsleistung zur Verfügung“.
Nachdrücklich wies er auf die
politischen und militärgeographischen Vorteile einer Unterwerfung Polens im
Zusammenhang mit kriegerischen Aktionen Nazideutschlands gegen andere Mächte
hin. Bei einer „Auseinandersetzung mit dem Westen“, so Hitler, „ist es gut,
einen größeren Ostraum zu besitzen“. Vor allem aber habe man in einem solchen
Fall den Rücken frei. Sodann kam er auf einen für das Endziel der Nazis, die
Eroberung und Vernichtung der Sowjetunion, bedeutsamen Aspekt der Unterwerfung
Polens zu sprechen. Hitler meinte, die miserablen Lebensverhältnisse des
polnischen Industrieproletariats und der Landbevölkerung bürgen die Gefahr
revolutionärer Umstürze. „Polens innere Festigkeit gegen den Bolschewismus ist
zweifelhaft“.
Die Meinung des deutschen
Diktators deckte sich in dieser Frage mit der Beurteilung der autoritär
regierenden, antisemitischen und extrem antikommunistischen Führungsclique in
Warschau. Als die Sowjetunion nach dem deutschen Einmarsch in Böhmen und Mähren
im März 1939 eine Allianz zwischen Großbritannien, Frankreich, der Sowjetunion
und Polen zur Abwehr weiterer Aggressionen initiierte, stimmten England und
Frankreich, wenn auch halbherzig bis widerwillig, zu. Nur Polen war gegen das
Projekt, das auch militärische Absprachen zwischen Warschau und Moskau u. a.
über ein Durchmarschrecht sowjetischer Truppen zur Verteidigung der polnischen
Westgrenze vorsah. Am 11. Mai lehnte Polen ein Beistandsabkommen mit der
Sowjetunion ab. Die Führung in Warschau um den Außenminister Józef Beck war auch deshalb gegen eine enge Zusammenarbeit
mit der Sowjetunion, weil sie eine Infizierung der armen Bevölkerung vor allem
in den 1920/21 von Litauen, Belorußland und der
Ukraine geraubten Gebieten mit marxistischer Ideologie fürchtete. Ohne konkrete
militärische Absprachen zwischen der Sowjetunion und Polen aber war eine
effektive Allianz gegen die Nazis nicht möglich. Winston Churchill forderte
deshalb die Junta in Warschau eindringlich auf, „der gemeinsamen Sache (der
Allianz - M.S.) keine Hindernisse in den Weg zu legen.“ Polen müsse „die volle
Zusammenarbeit mit Rußland akzeptieren“. Die Herrschenden
in Warschau blieben bei ihrem Standpunkt, der maßgeblich dazu beitrug, dass das
multinationale Sicherheitsprojekt scheiterte. Für den Machterhalt der
Kapitalisten und Großagrarier setzte die Führung in Polen die nationalen
Interessen aufs Spiel. Als die Wehrmacht am 1. September in Polen einfiel, gab
es keine wirksame Hilfe aus dem Ausland.
Höchstes Risiko
Auf der Besprechung am 23. Mai
spielte die Haltung Großbritanniens bei dem Überfall auf Polen eine
herausgehobene Rolle. Hitler vertrat die Meinung, Polen werde sich zur Wehr
setzen. „An eine Wiederholung“ der „friedlichen“ Eroberungen, wie es bei der
Tschechoslowakei gelungen war, „ist nicht zu glauben. Es wird zum Kampf kommen.
(…) Weitere Erfolge können ohne Bluteinsatz nicht mehr errungen werden.“
Großbritannien und Frankreich
hatten nach dem deutschen Einfall in Böhmen und Mähren Polen eine Garantie
seiner Unabhängigkeit gegeben und militärischen Beistand für den Fall eines
deutschen Angriffs versprochen. Die militärpolitische Situation wies auf einen
Mehrfrontenkrieg gegen Deutschland hin. Auf der Beratung am 23. Mai unterstrich
die deutsche Führung, dass sie trotzdem dabei bleibe, Polen baldmöglichst zu
unterwerfen. Man dürfe sich nicht den Umständen unterordnen, sagte Hitler,
sondern es seien „die Umstände den Forderungen anzupassen“. Als Ausweg nannte
er die vor allem seit der „Hoßbach-Besprechung“ am 5.
November 1937 favorisierte Blitzkriegsdoktrin. Wenn Polen „blitzschnell“
niedergeworfen werde, seien die Gefahren eines Zweifrontenkrieges gebannt. Das
Ziel des Feldzuges müsse erreicht sein, ehe die Beistandszusagen der Westmächte
an Polen militärisch wirksam werden. Damit sei Polen militärisch isoliert, und
die Wehrmacht habe zunächst nur an einer Front aktiv zu kämpfen. Die
Blitzkriegsdoktrin wurde in den operativen Weisungen festgeschrieben. In der
Weisung vom 3. April 1939 für einen Krieg gegen Polen („Fall Weiß“) heißt es,
„die Isolierung Polens wird umso eher auch über den Kriegsausbruch erhalten
bleiben, je mehr es gelingt, den Krieg mit überraschenden, starken Schlägen zu
eröffnen und zu schnellen Erfolgen zu führen“. Alles müsse so schnell gehen,
dass Frankreich und England keine Zeit hätten, an der deutschen Westgrenze
militärisch wirksam zu werden. Dies, so Hitler, setze einen hohen Bereitschaftsgrad
der Wehrmacht voraus. Ohne Mobilisierung sollten die Nachbarstaaten „aus der
Kaserne heraus überrannt werden“. Starke taktische Luftwaffen- und
Panzerverbände hätten schnell die Entscheidung zu erzwingen. An der Westgrenze
beabsichtigte man, gestützt auf den „Westwall“, den Hitler als das „gewaltigste
Festungswerk aller Zeiten“ bezeichnete, französische und britische Aktionen
hinhaltend abzuwehren. In diesem Zusammenhang entwickelte er den 1940
verwirklichten Plan, die Gegenküsten zu England zu besetzen, um Großbritannien
von einem Eingreifen mit Landstreitkräften auf dem Kontinent abzuhalten. Die
Neutralität Belgiens und der Niederlande wollte man ohne völkerrechtliche
Skrupel brechen. Hitler spekulierte auch darauf, dass aufgrund der polnischen Haltung
gegenüber der Sowjetunion bei den Gesprächen zwischen London, Paris und Moskau,
über die die britische Presse ausführlich berichtete, die geplante Allianz
scheitere. Man hoffte, dass dadurch auch die Sowjetunion bei einem deutschen
Überfall auf Polen nicht eingreifen werde.
In den Ausführungen Hitlers am
23. Mai zeichnete sich wegen der britisch-französischen Garantien an Polen eine
Phasenverschiebung des deutschen Aggressionsprogramms ab. In der ersten Phase
sollte Polen niedergeworfen werden. Damit sei vergrößerter „Lebensraum“ und
Rückenfreiheit bei einem Krieg gegen die Westmächte errungen. Ein Zwischensieg
im Westen wiederum schaffe Rückenfreiheit für die Inangriffnahme der „großen
Ostlösung“. Mit der Unterwerfung Polens hätte Nazideutschland dafür eine
günstige, für die Sowjetunion äußerst gefährliche Ausgangsstellung erreicht.
Die Wehrmacht stünde nur noch 600 Kilometer von Moskau entfernt.
Geschlossen zeigt sich das
Etappenprogramm in den Gesprächen der deutschen Führung mit dem italienischen
Außenminister Galeazzo Ciano
Mitte August 1939. Hitler meinte, die Eroberung Polens bringe eine bedeutende
Stärkung. Nach einem Sieg „über den Westen“ werde Deutschland den „alten
Germanenweg“ nach Osten, gegen die baltischen Staaten und die Sowjetunion,
gehen.
Zusammenarbeit auf Kosten Dritter
Die Besprechung am 23. Mai
markiert den Abschluss einer seit Ende Oktober 1938 sich abzeichnenden
Veränderung im deutsch-polnischen Verhältnis. Bis dahin waren die Beziehungen
von der am 26. Januar 1934 auf zehn Jahre abgeschlossenen
Nichtangriffserklärung geprägt. Streitfragen sollten keinesfalls unter Anwendung
von Gewalt gelöst werden. Der polnische Diktator Józef
Piłsudski wertete die Abmachungen angesichts der von allen maßgebenden
Kräften in Deutschland bis dahin betriebenen aggressiven Politik und Propaganda
gegen Polen als „Ruhepause“ für sein Land. Durch Gewährung wirtschaftlicher
Vorteile und gute Beziehungen, so das Kalkül der deutschen Führung, sollte
Polen von seinen traditionellen Verbündeten getrennt und deutschen Wünschen
zugänglich gemacht werden. Diese Bilateralisierungspolitik betrieb
Nazideutschland seit 1934 mit bemerkenswertem Erfolg auch gegen die Verbündeten
Polens in Südosteuropa. Befördert von der ideologischen Nähe zwischen dem
Hitlerregime und den Herrschenden in Polen, entwickelte sich ein für alle
neutralen Beobachter erstaunlich enges Verhältnis zwischen Berlin und Warschau,
das bei den für das Nazireich besonders riskanten frühen Aggressionen bis zur
Kollaboration Polens reichte und auch in London, Paris und Moskau so gesehen
wurde. Als Hitler-Deutschland im März 1938 Österreich annektierte, hielt Polen
wie schon bei der Rheinlandbesetzung 1936 den Faschisten den Rücken frei.
Hitler bedankte sich überschwenglich. In der
Reichstagsrede vom 18. März 1938 nannte er an erster Stelle Polen, das zu den
Staaten gehöre, die „ihre warme Zustimmung ausgedrückt“ hatten. „Die vornehme
und verständnisvolle Haltung Polens“ wurde hervorgehoben. Bei dem ersten Teil
der Zerschlagung der Tschechoslowakei durch das Münchner Abkommen ging die
Zusammenarbeit noch weiter. Polen entriss Anfang Oktober 1938 der Tschechoslowakei
das auch wirtschaftlich wertvolle Olsa-Gebiet im
Norden des Landes.
Die Naziführung plante in dieser
Zeit, Polen als temporären Vasallen für ihre Eroberungspläne gegen die
Sowjetunion und die baltischen Staaten zu gewinnen. Hitler und seine Satrapen
glaubten, an die seit Ende des Ersten Weltkrieges von Piłsudski und seinen
Nachfolgern verfolgten Absichten anknüpfen zu können, die im Osten ein
„Großpolen“, zumindest eine polnische Einflußzone von
der Ostsee bis zum Schwarzen Meer schaffen wollten.
Rechnung präsentiert
Deutschland setzte nach dem
Münchner Abkommen Polen zunehmend unter Druck. Am 24. Oktober 1938 verlangte
der deutsche Außenminister in einem Gespräch mit dem polnischen Botschafter in
Berlin, Józef Lipski, eine
„Generalbereinigung aller bestehenden Reibungsmöglichkeiten zwischen
Deutschland und Polen“, damit das „herzliche“ Verhältnis nicht getrübt werden
könne. Die Deutschen forderten den Beitritt Polens zum Antikominternpakt,
die Übergabe der Stadt Danzig und exterritoriale Verkehrswege von Deutschland
nach Danzig, die aus dem polnischen Staatsgebiet herausgelöst werden sollten.
Diese Forderungen waren für Polen unannehmbar. Der „territoriale Ausgleich“
zielte auf Einschränkung der polnischen Souveränität und behinderte Polens
Zugang zum Meer. Ein Beitritt zum Antikominternpakt
hätte Polen nicht nur in eine extrem feindliche Stellung zu seinem Nachbarn
Sowjetunion, sondern auch wegen der damit öffentlich bekundeten Parteinahme für
Nazideutschland seine westlichen Verbündeten, die schon durch die polnische
Kollaboration mit Berlin in den vergangenen Jahren beunruhigt waren, noch mehr
irritiert. Ende März 1939 wies Polen die deutschen Forderungen definitiv
zurück. Der polnische Außenminister Beck erklärte am 28. März dem deutschen
Botschafter in Warschau: „Jeder Versuch (…), den Status des Freistaates Danzig
zu ändern, wird Polen als Casus belli betrachten.“
Für die deutsche Führung war
klar, Polen steht nicht als Vasall für einen Krieg auf dem „alten Germanenweg“
nach Osten zur Verfügung, es muss niedergeworfen werden. Schon am 8. März 1939
kündigte Hitler vor hohen Funktionären, Militärs und Wirtschaftsführern an,
nach der endgültigen Zerschlagung der Tschechoslowakei komme Polen an die
Reihe. Der deutsche Einmarsch in Böhmen und Mähren am 14. März 1939 kreiste
Polen militärgeographisch entscheidend ein. Der 14. März sollte ebenso wie die
kurz darauf erfolgte Annexion des Memelgebietes von Litauen auch als
Druckmittel wirken. Am 13. März 1939 vertraute Peter Kleist, Polen- und
Osteuropaspezialist in der Dienststelle Ribbentrop, einem Journalisten an: „Im
Verlauf der weiteren Verwirklichung der deutschen Pläne bleibt der Krieg gegen
die Sowjetunion die letzte und entscheidende Aufgabe der deutschen Politik.
Während man früher hoffte, Polen als Bundesgenossen im Krieg gegen die Sowjetunion
auf seine Seite ziehen zu können, ist man jetzt in Berlin überzeugt, daß Polen bei seinem gegenwärtigen politischen Zustand (…)
nicht als Hilfskraft gegen die Sowjetunion ausgenutzt werden kann.“ Polen müsse
erst vollständig unterworfen werden.
Mit der Beratung am 23. Mai war
das Schicksal Polens besiegelt. Nazideutschland war entschlossen, unabhängig
vom Verhalten anderer Mächte unter Inkaufnahme höchsten Risikos, Polen
militärisch zu unterwerfen. Wenige Tage vor dem Überfall fasste Hitler diese
Politik in dem Satz zusammen: „Auch wenn im Westen Krieg ausbricht, bleibt
Vernichtung Polens im Vordergrund.“
Als sich in der deutschen Führung
der Eindruck verfestigte, dass Polen nicht als Vasall zu gewinnen sei, wurden
die seit längerem unter dem Kryptonym „Fall Weiß“
betriebenen militärischen Vorbereitungen für einen Krieg gegen Polen
intensiviert. Am 25. März erhielt der Oberbefehlshaber des Heeres die Weisung,
„die polnische Frage zu bearbeiten“. Am 3. April erging ein Befehl des
Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), die Bearbeitung des „Falles Weiß“ habe so zu
erfolgen, „daß die Durchführung ab 1.9.1939 jederzeit
möglich ist“. Eine zentrale operative Weisung „Fall Weiß“ war dem OKW-Befehl beigefügt. Die grundsätzlichen strategischen
Richtlinien für einen Krieg gegen Polen wurde den
Oberbefehlshabern der Teilstreitkräfte mit der Besprechung am 23. Mai mündlich
übermittelt. Am 4. August wurde der Angriffstermin vorläufig auf den 26. August
gelegt. Die „Weisung Nr. 1 für die Kriegsführung“ erging am 31. August. Danach
wurde bestimmt, der Angriff solle am 1. September um 4.45 Uhr beginnen und
„nach den für Fall Weiß getroffenen Vorbereitungen“ durchgeführt werden.
Fünfte Kolonne mobilisiert
Ein wesentlicher Teil der
Vorbereitung war die Mobilisierung der zahlenmäßig starken Bevölkerungsgruppe
der „Auslandsdeutschen“ in Polen. Durch die 1934 eingeleitete
„Freundschaftspolitik“
konnte die deutsche Minderheit
erstarken. Mit Reichsmark finanziert und von Berliner Stellen angeleitet,
entstanden ohne größere Interventionen polnischer Behörden zentrale politische
Organisationen und ein dichtes Netz deutscher Schulen, landwirtschaftlicher
Genossenschaften, Wohlfahrts-, Kultur- und Sportverbände sowie eine große
Anzahl deutscher Zeitungen und Zeitschriften. Die Angehörigen der deutschen
Minderheit wurden systematisch mit faschistischem Gedankengut infiziert. Der
Leiter der „Volksdeutschen Mittelstelle“, der zentralen Führungsinstanz des
Naziregimes in Fragen des „Auslandsdeutschtums“, bestätigte, dass der so
entstandene Staat im polnischen Staat eine Einrichtung des Nazireiches war.
SS-Obergruppenführer Werner Lorenz schrieb am 19. September 1939, dass „die
Organisationen der deutschen Volksgruppe in Polen (…) die sachliche und
politische Arbeit im nationalsozialistischen Sinne in meinem Auftrag“
durchgeführt hätten. Ein anderer führender Funktionär der „Deutschtumsarbeit“,
Erich Krahmer-Möllenberg, ergänzte: „Diese Vereine
sind durch uns aus Reichsmitteln finanziert, und zwar hinsichtlich der
Verwaltungskosten (Besoldungen) wie hinsichtlich ihrer praktischen Arbeit.“
Ab Frühsommer 1939 gingen die
„Volkstumsorganisationen“ in die Offensive. Angeleitet von deutschen
Geheimdiensten, betrieben Mitglieder der deutschen Minderheit großflächig
Spionage gegen Polen. Eine wesentliche Aufgabe war, Konflikte mit polnischen
Behörden zu organisieren. Die Nazipropaganda, die bis dahin auf der Linie der
Abkommen von 1934 eher wohlwollend über Polen berichtet hatte, ging seit Mai
ausführlich auf die „Zwischenfälle“ ein und bauschte sie ungeheuer auf. Man
bezichtigte den Nachbarstaat der systematischen, ja bestialischen Verfolgung
der Deutschen in Polen. So titelte ein Provinzblatt wie die Neue Mannheimer
Zeitung am 26. August: „Polen-Terror ins Unerträgliche gesteigert“. In
Deutschland sollte damit die Kriegsstimmung geschürt, Polen im Ausland
diskriminiert und politisch isoliert werden. Der Staatssekretär im Auswärtigen
Amt, Ernst von Weizsäcker, drängte, in der „Brandmarkung der polnischen
Politik“ gegenüber dem „Deutschtum“ in fremden Hauptstädten initiativ zu
werden.
In den letzten Tagen vor dem Krieg wurden meist unter Leitung der SS bewaffnete Formationen mit der Bezeichnung „Selbstschutz“ oder „Freikorps“ aufgestellt, die sofort nach Kriegsbeginn in großem Umfang an Massenerschießungen polnischer Bürger teilnahmen. Angehörige der deutschen Minderheit kamen über die Grenze und dienten den bereitgestellten Wehrmachtsverbänden als ortskundige Führer. Zahlreiche Funktionäre der „Volkstumsorganisationen“ wurden nach Beginn des Krieges hoch dekoriert und vielfach mit leitenden Posten in der Okkupationsverwaltung zur Ausbeutung, Unterdrückung und Dezimierung der unterworfenen Völker belohnt. Nach dem Krieg bildeten in der Bundesrepublik viele der meist schwer belasteten „Volkstumskämpfer“ das Führerkorps der Landsmannschaften. Diese Organisationen verfügen bis heute, wie nicht zuletzt die „Affäre Steinbach“ belegt, über enormen politischen Einfluss und agieren noch immer als Pressuregroup gegen eine wahrhaftige Aussöhnung mit Polen.